Dummheit, Egoismus, Werteverfall? – Der Ritt auf der Corona – Rasierklinge

Dummheit, Egoismus, Werteverfall? – Der Ritt auf der Corona – Rasierklinge
Es ist 9.10 Uhr in Recklinghausen. Vor einer Bäckereifiliale an der Dorstener Strasse. Die Mitarbeiterin eines Sozialdienstes und Betreuerin von Risikopatienten reiht sich in die kleine Schlange vor der Bäckerei ein. Vor ihr zwei Polizisten in Uniform, die sich offensichtlich ihr Frühstück zusammenstellen lassen wollen. Da rauscht im weißen Berufskassak eine Arzthelferin ohne Mundschutz , vielleicht aus einer der umliegenden Praxen (vielleicht auch ein anderer medizinischer Beruf), an der kleinen Schlange vorbei. Die Sozialbetreuerin versucht eine leise Intervention: „Hallo, hier gibt es eine Warteschlange.“ Die Antwort der Frau im weißen Kittel: „Schwachsinn, dann warten Sie mal.“ geht vorbei – auch an den Polizisten – bis zur Ladentheke, wo die WeissKassak-Trägerin dann auch gleich von der Verkäuferin(auch ohne Mund- und Nasenschutz und ohne Thekenblende) bedient wird. Auch den Polizisten fällt wohl im Augenblick nichts zum Thema Anstands- und Abstandsregeln ein. Sie orientieren sich mehr an ihrem zukünftigen Frühstück. Erst nach der Ansprache durch die Sozialdienstmitarbeiterin bequemt sich einer der Gesetzeshüter um ein mahnendes Gespräch mit der Verkäuferin: „Sie wissen ja, dass sie eigentlich beim Nichtbefolgen der Abstandsregeln Bußgeld zahlen müssen.“ Ende – Aus – Micky Maus.
Warum diese wahre Geschichte, die so und/oder anders kein Einzelfall ist? Der Vorgang mag Dummheit oder Unverschämtheit signalisieren. Eines hat er auf jeden Fall gezeigt. Einigen Menschen – auch Vertretern der Staatsgewalt – scheint nicht klar zu sein, welchen Ritt auf der Rasierklinge wir gerade absolvieren. Wir haben Zustände wie in Italien, Spanien, Großbritannien oder den USA verhindern können. Wir tänzeln um einen höchst empfindlichen Reproduktionswert von unter 1 herum und beschäftigen uns gedanklich, emotional und faktisch nicht mit einer möglichen nächsten Infektionswelle sondern mit der weiteren Lockerung bei Geschäften, Schulen und Kindergärten. „Schwachsinn“ – meinte die Weiss-Kassak-Frau vor der Bäckerei. Offensichtlich fühlt sie sich nicht betroffen: Um die 40 Jahre alt – Wahrscheinliche Sterberate 0,4 % bei einer Infektion. 4 von Tausend. Kann man vergessen. Denkste. Gehören zum engen Familienkreis Eltern und Großeltern oder gar Chronisch Kranke, Raucher, Diabetes-, Herz- Kreislauf, COPC- oder gar Krebserkrankte, dann ist die Betroffenheit schell da. Allein bei den 4 Großeltern von über 80 Jahren besteht die Gefahr eines tödlichen Ausgangs schon 10 %.
Oder die Kinder einer angenommenen Familie. Ein Junge über 10 Jahre, ein Mädchen 12 Jahre. Beide besuchen die Gesamtschule. Sterblichkeitsrate nach den chinesischen Erfahrungen bei über 10jährigen 0,2 % der Infizierten. Man denkt, bei solch geringen Gefahren spricht doch alles für die Schulöffnung, einen regulierten Schulbetrieb und die wieder mögliche volle Arbeitsfähigkeit der Eltern.
0,2 % Letalitätsrate. Das heißt, bei einer Gesamtschule von über 1000 Schülern könnten im Falle einer Ansteckungswelle zwei Schüler sterben. Nur die 0,2 % zu betrachten – das sind kalte, anonyme Zahlen. Sich aber in den Klassenverbänden zwei Schülerinnen oder Schüler konkret vorzustellen, die es treffen kann. Das macht zumindest was mit mir.
Deshalb kann es doch nicht darum gehen die Rückabwicklung der Schutzmaßnahmen zum Selbstzweck zu machen. Geduld, Augenmaß und Disziplin sind angesagt, damit uns weitere Infektionen erspart bleiben. Dazu gehören dann bitte auch die Maskenpflicht, zum vornehmlichen Schutz der Mitmenschen, und die Einreihung in eine Warteschlange vor einer Bäckerei.