Demokratie in Gefahr: Was uns das Stadtbild sagt

Ausgangspunkt

Bundeskanzler Friedrich Merz sprach jüngst auf einer Pressekonferenz mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke über Migration und sinkende Flüchtlingszahlen – und fügte hinzu:

„Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen sollen in sehr großem Umfang Rückführungen erfolgen.“

Mit dieser Formulierung reduzierte er das „Problem im Stadtbild“ auf Migranten und Flüchtlinge – und blendete damit alle anderen Ursachen aus.
Eine solche Verkürzung ist gefährlich. Sie verschiebt die Perspektive, lenkt von den wahren Problemen ab und schürt Ressentiments.

Dieses politische Muster ist nicht neu. Schon in der Bürgergelddebatte wurden ganze Gruppen zu Sündenböcken gemacht, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Jetzt trifft es die Migranten.
Ein durchschaubares Spiel mit Emotionen – ein Versuch, Stärke zu zeigen, statt Lösungen anzubieten.


Was wir wirklich sehen

Viele spüren seit Jahren, dass „etwas nicht stimmt“ in unseren Innenstädten. Doch wer genau hinschaut, erkennt: Es geht nicht nur um Migration.

Seit Jahrzehnten verändert sich das Bild unserer Städte.
Ich erinnere mich an das Jahr 1983 in England – damals sah ich Menschen, die Abfalleimer nach Verwertbarem durchsuchten. In Deutschland war das damals undenkbar. Wenige Jahre später sah ich dieselben Szenen in deutschen Städten.

Heute prägen Wohnungslosigkeit, Armut, Drogen, Alkoholmissbrauch, Verwahrlosung, Leerstände und verfallende Gebäude viele Stadtbilder.
Kommunen kämpfen dagegen an – unterfinanziert, mit zu wenig Personal und schwacher sozialer Infrastruktur.

Das sind die wirklichen Herausforderungen – nicht Hautfarbe, Herkunft oder Kopftuch.
Wenn es Probleme im Bereich Migration gibt, sind sie Folge einer verfehlten Integrations-, Bildungs- und Sozialpolitik – und einer fehlenden Zuwanderungssteuerung.
Vom Verlust bezahlbaren Wohnraums bis zur Verwahrlosung öffentlicher Räume zeigt sich vor allem eines: falsche gesellschaftliche Prioritäten.
Während der Wohlstand für Wenige wächst, verarmen ganze Stadtteile. Öffentliche Plätze werden zu Angsträumen.


Migration ehrlich und konsequent ansprechen

Natürlich dürfen Rüpeleien, Gewalt oder Regelverstöße nicht hingenommen werden – von niemandem.
Wer hier lebt, muss sich an unsere Gesetze und Werte halten.
Illegale Zuwanderung muss verhindert, illegaler Aufenthalt beendet werden.
Eine Demokratie muss ihre Regeln schützen – sonst verliert sie ihre Glaubwürdigkeit.

Szenen wie an Silvester 2015 auf der Kölner Domplatte oder Demonstrationen mit Kalifat-Forderungen dürfen sich nicht wiederholen.
Aber Migranten pauschal für soziale oder städtebauliche Probleme verantwortlich zu machen, ist nicht nur falsch – es ist gefährlich.

Denn solche Schuldzuweisungen lenken ab:
von den strukturellen Ursachen – Armut, sozialer Spaltung, Vernachlässigung der Kommunen – und von einer Politik, die Gewinne privatisiert und Verluste vergesellschaftet.


Der politische Kurzschluss

Wer das „Stadtbildproblem“ auf Migration reduziert, betreibt keine Lösung, sondern Symbolpolitik.
Er spielt sich als starker Macher auf – doch die eigentlichen Probleme bleiben ungelöst.
Die Folge: Mehr Misstrauen, mehr Wut, mehr Populismus.

Denn die Kräfte, die von Angst und Spaltung leben, profitieren genau davon.
Wer einfache Erklärungen anbietet, stärkt am Ende die, die von Vereinfachung leben.


Was jetzt zu tun ist

Wer wirklich will, dass unsere Innenstädte wieder lebendig, sicher und lebenswert werden, muss an die Wurzeln gehen:

  • Wohnraum schaffen – bezahlbar und würdevoll
  • Kommunen stärken – finanziell und personell
  • Öffentliche Räume beleben – durch Kultur, Bildung, Begegnung und Freizeit
  • Ordnung und Sauberkeit sichern – mit klaren Regeln, aber ohne Diskriminierung
  • Gesellschaftliche Verantwortung teilen – statt Schuldige zu suchen

Das ist keine einfache Aufgabe, aber eine notwendige.
Denn Demokratie zeigt sich nicht nur auf dem Wahlzettel, sondern auch im Zustand unserer Straßen, Plätze und Orte der Begegnung.


Fazit

Ein Kanzler, der einfache Erklärungen liefert, statt komplexe Probleme zu lösen, schwächt das Vertrauen in die demokratische Kompetenz seines Amtes.
Unser Stadtbild ist ein Spiegel unserer Gesellschaft – und die Verantwortung, es zu erhalten oder zu verbessern, liegt bei uns allen.

Ordnung und Sicherheit sind keine abstrakten Werte, sondern konkrete Aufgaben.
Für saubere, sichere und menschenwürdige Orte, in denen Demokratie im Alltag sichtbar wird.

Migration ist Teil unserer Realität – sie braucht klare Regeln, aber auch Fairness.
Was wir brauchen, sind keine Parolen, sondern Mut, Weitsicht, soziale Gerechtigkeit und Gemeinsinn.
Damit unsere Städte wieder zeigen, was sie einmal waren: Räume des Zusammenhalts, der Begegnung und der gelebten Demokratie.