Opfertagebuch 11.07.2021: „Es ist alles egal. An diesem Abend, in dieser Nacht sind die Schwarzen Schuld.“
Der deutsche Journalist, Unternehmensberater und Musiker Stephan Anpalagan, Gründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation „Demokratie in Arbeit“, twitterte in der Nacht nach dem Endspiel zur Fußballeuropameisterschaft: „An diesem Abend, in dieser Nacht sind die Schwarzen Schuld. Und sie sollen bezahlen, nötigenfalls mit ihrem Leben. Im Jahr 2021. Mitten in Europa. Wegen eines verlorenen Fußballspiels. Man kann es nicht glauben, man will es nicht glauben.“ Und: „Der Firnis der Zivilisation ist dünn. An manchen Tagen ist er sogar durchsichtig und erlaubt einen Blick in die Unterwelt.“ Und dieser Blick in die Unterwelt offenbart wieder einmal den mimetischen Zyklus aus Begierde, Neid, aufkommenden irrealen Opfergefühlen und zwanghafter Sündenbocksuche. Der Startschuss war eine entwickelte Komfortzone, die England nach 55 Jahren mal wieder an der Spitze des europäischen Fußballs sehen wollte. Eine Komfortzone, die durch Medien, durch Kommentatoren, Nachbarn, Freunde aber auch durch Menschen wie Boris Johnson bedient und gefüllt wurde. Und dann der Crash, das verlorene Spiel gegen Italien, die geplatzte Komfortzone. Das ist der Startschuss um Sündenböcke zu suchen und zu finden: Es sind die Schwarzen.
„Das Niederknien vor jedem Fußballspiel der Engländer in der Europameisterschft, diese Bekenntnisse, alles ist vergessen, alles ist egal. Dass es auch die schwarzen Spieler waren, die die englische Fußball-Mannschaft ins Finale befördert haben, egal. Dass es der schwarze Marcus Rashford ist, der sich leidenschaftlich gegen Kinderarmut in England einsetzt und Schulspeisungen organisiert, damit arme Kinder nicht hungern müssen, egal.
Es ist alles egal. An diesem Abend, in dieser Nacht sind die Schwarzen Schuld……………………………….Man kann es nicht glauben, man will es nicht glauben. Weil drei schwarze Fußballer die Elfmeter für England verschossen haben, trendet nun auf Twitter das N-Wort. Nachdem Twitter den Hashtag in „SayNoToRacism“ umgewandelt und in die Trends gelegt hat, rufen Menschen nun dazu auf, „SayYesToRacism“ in die Trends zu bringen.
Auf Instagram kursiert der Aufruf schwarze Menschen zu bespucken, zu schlagen, zu vergewaltigen & zu lynchen. Jede Maßnahme ist mit Punkten versehen. Je gewalttätiger, desto mehr Punkte. Eine Art Rassismus-Bingo. Überschrieben ist das ganze mit „These N*** have lost us the Euro“.
Ein „Commercial Real Estate Manager“ wird wohl morgen seinen Job verlieren, weil er unter Klarnamen und Nennung seines Arbeitgebers im Profil die Worte „N*** ruined it for us“ veröffentlicht hat. Der Tweet wurde mittlerweile gelöscht. Ein Screenshot ist aber mittlerweile öffentlich an den Arbeitgeber unterwegs.
Schwarze Frauen erzählen unter Tränen wie sie nach dem Elfmeterschießen aus einem Pub hinausgeworfen wurden und wie man ihnen das N-Wort hinterherrief.
Ein schwarzer Mann wird von zwei Männern in die Themse geschmissen. Es existiert ein Video dazu, das erst noch verifiziert werden muss. Im Laufe des Abends häufen sich immer mehr Berichte über Gewalt gegen Schwarze. Angefacht aus Frust über das verlorene EM-Finale.
Schwarze Bürgerrechtsorganisationen rufen schwarze Brit*innen dringend dazu auf, das Haus nicht zu verlassen. Menschen berichten davon wie Schwarze mit Messern angegriffen und auf Gleise geschubst werden.
Eine BBC-Moderatorin ist angesichts dieses entfesselten Rassismus fassungslos und macht darauf aufmerksam, aus welchen Gründen eigentlich die gesamte englische Mannschaft vor den Spielen niederkniet.
Die Firnis der Zivilisation ist dünn. An manchen Tagen ist sie sogar durchsichtig und erlaubt einen Blick in die Unterwelt.“ (Stephan Anpalagan, Twitter 11.07.21)