Ob mit oder ohne GROKO – Die SPD und ihr Legitimationsproblem

Ob mit oder ohne GroKo. Die SPD hat ein großes Legitimationsproblem innerhalb ihrer Stammwählerschaft. Das ist nicht mehr, wie so gerne bemüht, die Agenda 2010 mit den Hartz IV-Beschlüssen. Natürlich hatten die damaligen sozialpolitischen Einschnitte etwas mit dem sozialdemokratischen Markenkern zu tun und zu erheblichen Erosionen geführt. Allerdings offenbaren die gelaufene Sondierung und die jetzt begonnen Koalitionsverhandlungen einen anderen sozialdemokratischen Grundwiderspruch zwischen der Leitungsebene und der Wählerschaft. Deutlich wird dieses am humanitären Thema des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Kriegsflüchtlinge.

Dabei geht es gar nicht um den humanitären Gedanken an sich. Vielmehr wird an diesem Beispiel die Gesamtbehandlung des Flüchtlingsthemas im sozialdemokratischen Umfeld deutlich. Während die Leitungsebene dieses Thema insgesamt eher ausspart,  ist es für das sozialdemokratische Wählerpotential, ausweislich unterschiedlicher Wählerbefragungen,  das vordringliche politische Thema – verbunden mit dem Thema Innere Sicherheit. Dieses ist nicht erst jetzt der Fall, sondern war auch schon das zentrale Thema zur Wahlkampfzeit.

 

 

Eine solche Fehleinschätzung  oder gar Ignoranz der Führungsebene  einer Partei zur Befindlichkeit ihrer Wähler muss zu Wahlverlusten und zur Talfahrt bei der Sonntagsfrage führen. Es ist sicherlich ein unangenehmes Thema in einer Partei,  die in dieser Frage klar von Gesinnungsethikern  domminiert wird. Verantwortungsethiker sind in der SPD – zumindest in dieser Frage – kaum mehr wahrnehmbar. Politiker wie Helmut Schmidt und auch Willy Brandt haben in ihrer Zeit die Ängste, Sorgen und Befindlichkeiten der „kleinen Leute“ erkannt und auch politisch entsprechend reagiert. So hat Brandt bereits 1973 den Anwerbestopp so begründet: „Dieses ist keine feindselige Handlung gegenüber ausländischen Arbeitnehmern. Aber wir müssen in einer solchen Situation zunächst an unsere eigenen Landsleute denken.“  Helmut Schmidt formuliert in einer Rückschau 2004(Hamburger Abendblatt): „…, dass wir uns übernommen haben mit der Zuwanderung von Menschen aus völlig anderen kulturellen Welten.“,  und weiter im Focus 2005: „Sieben Millionen Ausländer in Deutschland sind eine fehlerhafte Entwicklung.“  Offensichtlich auch selbstkritisch, weil einen Teil von Zuwanderung auch er in seiner Regierungszeit zu verantworten hatte. (siehe auch Helmut Schmidt zu Gast bei Sandra Maischberger – 14.12.2010  – https://youtu.be/sj2iG3gOolw  )

Wo bleibt diese Selbstkritik heute? Es verstärkt sich doch der Eindruck, dass man heute als Sozialdemokrat aus Political Correctness heraus derartiges nicht mehr sagen darf oder will. Dass Aussagen, wie seinerzeit von Brandt oder Schmidt, wenn nicht zum Parteiordnungsverfahren dann zumindest zur intellektuellen Verbannung führen würden. Dabei wäre es doch gerade wichtig, dass Sozialdemokraten den Finger auf die Angst- und Unsicherheitswunden ihrer Wählerschaft legen. Wenn sie es nicht tun, dann tun es andere. Selbstkritik heute, das heißt klar zu erkennen und u.a. zu sagen: Dass massenhafte nicht registrierte Zuwanderung – in zweifelsohne schwieriger Lage-  zum Autoritäts- und Machtverlust unseres Staates geführt hat. Dass das Aufeinanderprallen unterschiedlicher kultureller Welten in den Nahräumen der einheimischen Bevölkerung zu Spannungen und Ängsten führt. Dass der Umgang mit Gewalt sich seit dem Zuzug verändert hat. Dass Kriminalität zugenommen hat.  Dass nicht nur eingliederungswillige Menschen zu uns kommen. Dass nicht nur aus existentieller Not geflüchtete zu uns kommen. Dass die vielfach respektlose Behandlung von Frauen, dass Vielehen nicht unserem Werteverständnis entsprechen.

Wo bleibt in Sachen Migration und Integration die klare Kante? Wo bleiben da das Eingeständnis von Fehlern der letzten Jahre und die Korrektur von Fehlsichten für die Zukunft? Beides ist Voraussetzung für die Rückgewinnung von Vertrauen in diesem nicht unwichtigen Themenbereich bei der ursprünglichen Wählerschaft der Sozialdemokratie. Bei der Frage GroKo ja oder nein, da war eine Meinungsänderung wohl möglich. Ob notwendig, das bleibt dahingestellt. Aber in dieser für die betroffenen Menschen als existenziell empfundenen Frage bleibt die Sozialdemokratie seltsam ruhig und beschränkt sich auf einen moralischen Imperativ sowohl im Asylrecht, dem subsidiären Recht und dem Familiennachzug. Das aber wird ihrer Verantwortung gegenüber einem großen Teil ihrer, vielleicht sollte man es schon sagen, ehemaligen Stammkwählerschaft nicht gerecht. Sozialdemokratische Politik – ob innerhalb oder außerhalb einer Koalition – kann allerdings nicht mit einem derartigen gesinnungsethischen Ansatz durchgehalten werden. Dieses kann bei den Grünen (mit Ausnahme von OB Palmer) oder bei Teilen der Linken gelingen. Deren Klientel betrachten Migration und Aufnahme als ausschließlich humanitären Akt und die damit verbundenen Belastungen und Auswirkungen – sarkastisch formuliert-  als dauerhaften Abenteuerurlaub in und mit fremde(n) Kulturen.  Eine solche Betrachtungsweise hat aber nur derjenige, der selbst keine Ängste um seine physische und soziale Situation haben  muss. Große Teile der ehemals sozialdemokratischen  Wähler gehören dazu allerdings nicht. Das zeigen die Wahlergebnisse – nicht nur im Ruhrgebiet-  mit schonungsloser Deutlichkeit.

Das bundesdeutsche  Zuwanderungsrecht soll, laut Sondierung zwischen Union und SPD, verändert werden. Hier spricht die SPD vom Einwanderungsgesetz als einem notwendigen Weg zur Beseitigung des Fachkräftemangels in Deutschland. Ob das nötig ist sei dahingestellt. Von vielen Menschen, insbesondere im Umfeld der SPD, wird das zumindest nicht so empfunden.  In diesem Europa leben genug Menschen, auch junge Menschen. Nötig ist eine qualifizierte Ausbildung und Mobilitätsförderung.  Hier könnte sich Europa verdient machen und die nachfragenden Betriebe sollten letztlich ihre Ausbildungspflichten erfüllen.  Das Beispiel zeigt, dass – auch wenn es objektiv notwendig sein sollte – ein Thema total an den Gefühlen der Zielgruppe vorbei auf den Weg gebracht wird.

Insgesamt geht es darum,  das Thema „Migration – Integration“ in Deutschland vom Kopf  auf die Füße zu stellen. Es muss gelingen, die hehren gesinnungsethischen Ansprüche mit den vielfach zu funktionalen verantwortungsethischen Ansätzen zu versöhnen.  Das wäre eine klassische sozialdemokratische Aufgabe. Dazu gehören zunächst ein ehrlicher Umgang mit den Fehlern der Vergangenheit und ein offener und ehrlicher Diskurs über die Aufnahmenotwendigkeit, Aufnahmefähigkeit und die Entwicklung nachvollziehbarer Instrumente. Dazu gehört, dass der Staat in der Frage Zuwanderung und Innere Sicherheit wieder seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen muss. Denn solange das nicht der Fall ist, bestehen Unsicherheit und Ängste. Und nur solange können sich Rechtsradikale und Populisten daraus ihr Süppchen kochen.