Sie skandieren: „Die Ampel muss weg!“ – Sie meinen: „Diese Demokratie muss weg.“

Sie skandieren: „Die Ampel muss weg!“ – Sie meinen: „Diese Demokratie muss weg.“
Foto:   falco-auf-Pixabay

Zunehmender Hass im Netz, Hass auf Plakaten und Spruchbändern.  Gewalt gegen Feuerwehrleute, Sanitäter und Polizisten. Anfeindungen gegen die Politik und Politiker. Kanzler und Minister werden an gefertigten Galgen symbolisch gehängt. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, der Hass trägt weiter. Inzwischen wird die Demokratie mehr und mehr zum Feindbild und autoritäre Staatsformen mehr und mehr zum Wunschbild. Bei den aktuellen Demonstrationen der Landwirte wurde diese an vielen Orten durch Mitglieder der AfD oder Reichsbürger durch Sprüche und Plakate zum Büttel rechtspopulistischer Systemkritik gemacht. Aus Lautsprechern auf Fahrzeugen mit AfD-Sprüchen wurde skandiert: „Die Ampel muss weg!“. Gemeint war in hasserfüllter Reaktion auf anwesende Politiker und Journalisten: „Diese Demokratie muss weg.“

Der Hass und auch die sich selbst legitimierende Gewalt sind das Ergebnis angsterfüllter Opfergefühle vieler Menschen in unserem Land.  Als sicher angenommene Vorstellungen von Gegenwart und Zukunft, die in der Vergangenheit gültig waren, brechen unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Eruptionen zusammen.  So unterschiedlich die Betroffenheit der Menschen auch sein mag, alle eint inzwischen der Blick auf die gemeinsam ausgemachten Sündenböcke: die Politik, Politiker und Demokratie – allen voran die gegenwärtige Ampelregierung.

Nun ist den Ampelakteuren beileibe keine gehobene Regierungskunst zu attestieren. Gleichwohl kann doch ein aufgeklärter Blick auf die politische Lage nicht daran vorbeisehen, dass sich global entwickelnde Krisen weder durch einen Olaf Scholz, Christian Lindner, Robert Habeck noch durch einen Markus Söder oder Friedrich Merz überwunden werden können. Das galt für die Corona-Epidemie. Es gilt für den Hamas-Terrorismus und seine Folgen, die russische Aggression gegenüber der Ukraine, der sich daraus ergebenden Energiekrise, die steigende Inflation und gesamtwirtschaftliche Eintrübung, die Verschiebung der ökonomischen Kräfteverhältnisse zwischen den westlichen Demokratien und den sogenannten Schwellenländern, die weltweiten Fluchtbewegungen und erst recht für die Auswirkungen des spürbaren Klimawandels.

Jedem, der sich in Regierungsverantwortung befindet oder befunden hat und in den gefühlten Problemfeldern unserer Republik leichtfertig schnelle Veränderung verspricht, wird zunächst erst einmal nicht mehr vertraut. Leichtfertige Versprechung im Sinne von „You never walk alone!“ vergrößern die Distanz zu den Regierenden, da sie unglaubwürdig wirken.  In einer solchen politischen Lage mögen sich die Oppositionsführer Merz und Söder, befeuert durch kurzlebige Wahlprognosen, auf dem Weg zur Kanzlerschaft wähnen. Sie vergessen, dass sie Teil des inzwischen verhassten politischen Systems sind und auch im Falle ihrer Regierungsübernahme, durch nicht einlösbare Versprechen bei der Bewältigung der globalen Krisen, zur weiteren Eruption des demokratischen Systems beitragen.

Die eigentlichen Absahner der fortdauernden Erosion des demokratischen Systems sind die AFD und ihre völkischen und populistischen Ableger. Sie haben es verstanden, die gefühlten Opfer jeder aufziehenden Krise an sich zu binden und deren Zahl zu kumulieren.  Angefangen hat es mit dem Protest gegen den Euro, setzte sich in der europäischen Finanzkrise fort und erreichte mit der Bindung von Coronagegnern, Kritikern der Flüchtlingszuwanderung und Skeptikern der deutschen Ukraine- und Russlandpolitik ihren Höhepunkt. Es wird schnell klar, dass die aufgezeigte Positionierung in den Krisenfragen, nur die Lockmittel waren. In Wahrheit geht es um die Überwindung unserer gegenwärtigen Demokratie, hin zu einer völkisch – nationalen und autoritären Staatsform. Diejenigen, die diesen Schwindel bemerkten, haben die AfD inzwischen verlassen. Die Mehrzahl kann sich scheinbar mit dieser Demokratiefeindlichkeit gut arrangieren.

Offensichtlich handelt es sich bei dieser Entwicklung um kein deutsches Phänomen. Der Blick zeigt die Erosion demokratischer Gesellschaftsformen in Europa und auf der gesamten Erde. Der Bertelsmann-Transformationsindex verzeichnete 2022 die Zahl von 70 Autokratien, aber nur noch 67 Demokratien weltweit. Ein Systemkampf, der durch die führenden Autokraten der Welt, wie Wladimir Putin und Xi Jinping, schon vor Jahren durch die systematische Destabilisierung westlicher Gesellschaften durch Desinformation begonnen wurde und nun im Gefolge des russischen Überfalls auf die Ukraine zu einem Showdown kommen soll. Nicht die Ukraine ist der Gegner der Autokraten, vielmehr das verhasste demokratische westliche System. Für eine autokratische Machtübernahme werden folglich nicht nur militärische Mittel eingesetzt, vielmehr auch die seit Jahren stattfindende Destabilisierung durch Fake News, Einschüchterungen, Befeuerung von Krisen in Failed States und Forcierung von Fluchtbewegungen.  Wenn wir es auch nicht wahrhaben wollen: Nicht nur in der Ukraine herrscht Krieg – wir alle leben im hybriden Krieg der Systeme.

Bei derartigen Aussichten muten die parteipolitischen Scharmützel innerhalb und außerhalb der Ampel recht kleinkariert an. Sie sind obendrein noch äußerst gefährlich. Eine derartige Lage der außen- wie innenpolitischen Eruptionen erfordert ein gemeinsames Handeln jener Demokraten, denen es wichtig ist, dass wir auch in Zukunft noch in einem demokratischen Rechtsstaat leben. Die gegenwärtige Lage erfordert einen ehrlichen, schonungslosen und ent-täuschenden Umgang mit vielen irrlichternden Narrativen in der Wählerschaft.  In den Politikfeldern, in denen Zumutungen für die Bürgerschaft unumgänglich sind, muss die damit verbundene ent-täuschende Botschaft eine gemeinsame Botschaft aller wehrhaften Demokraten sein.  Das gilt für die russische Aggression ebenso wie für die Migrationsfrage und ein gemeinsames Handeln in der schon begonnenen Klimakatastrophe. Es geht um substanzielle Fragen unseres demokratischen und friedlichen Miteinanders, die parteipolitische Partikularinteressen in den Hintergrund rücken müssen.

Es gab schon mal eine Zeit, nach dem Ersten Weltkrieg, in der sich wehrhafte Demokraten, vornehmlich aus SPD, Zentrum, DDP, gegen den aufziehenden Nationalismus als „überparteiliche Schutzorganisation der Republik und der Demokratie im Kampf gegen Hakenkreuz und Sowjetstern“ (Otto Hörsing) zusammengeschlossen haben. Sie gründeten das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Die Geschichte zeigt, dass Otto Hörsing und seine Mitstreiter nicht erfolgreich waren. Parteipolitische und persönliche Interessen und geringe demokratische Widerstandskraft führten zur Machtübernahme Hitlers.  So konnten Hitler, seine Anhänger und eine schweigende deutsche Bürgerschaft Leid, Elend und Not über Europa und die Welt bringen.  Wenn wir in unserer Zeit einen Sieg der Autokraten verhindern wollen, dann brauchen wir gerade jetzt eine starke, überparteiliche Schutzorganisation für unsere demokratischen Werte:  Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold  2.0