Zusammenleben in Zeiten der Krise – Demokratische Grundsätze der Konfliktlösung

Zusammenleben in Zeiten der Krise – Demokratische Grundsätze der Konfliktlösung

Wir alle leben in diesen Zeiten der vielfältigen Krisen. Wir stecken in  der Klimakrise, die wir bis vor einiger Zeit noch gar nicht so ernst genommen haben. Wir haben  die Corona-Krise erlebt, befinden uns mitten in Europa in einem Krieg, der in unserer Nachbarschaft, in der Ukraine stattfindet und der uns direkt und indirekt betrifft. Und seit einigen Wochen, nach der Terror-Nacht der Hamas, der neue Krieg in Nah-Ost.

Alles das macht Angst. Alles das verunsichert. Alles das gibt aber auch Anderen die Chance unsere Angst für ihre Interessen auszunutzen. Es werden Geschichten entwickelt und uns über die Medien serviert von denen wir nicht wissen ob sie stimmen oder nicht. Und diejenigen, die uns diese Geschichten servieren haben fast nie unser Wohlsein im Sinn, vielmehr denken Sie  nur an ihre Interessen.

 

Das gilt für Medien, politische Parteien und auch für andere Staaten.

Oft wollen andere Staaten unser Land so schwächen, dass sie selbst mehr Macht und Einfluss erhalten. Meine These: Die zunehmenden Unruhen, die großen Fluchtbewegungen – auch der Nah-Ost- Krieg – sind gewollt. Sie sollen die westlichen Demokratien destabilisieren. Es geht um den Sieg autoritärer Systeme über die westlichen Demokratien.     Der Flüchtlingstransfer Lukaschenkos hatte nur ein Ziel – er sollte Unruhe stiften. Sollte uns schwächen.   Das Quasi-Gasmonopol Russlands für Deutschland zeigt das ebenso. Hier wird Gas zur Waffe im Krieg.  Oder China – und die Investition in die Seidenstraße zeigt uns: Es geht um die Stabilisierung und Ausweitung eines autoritären Systems, um Einfluss über wirtschaftliche Entwicklung auf politische Entscheidungen (Taiwan).

Oder nehmen wir die  Medien, denen geht es in nicht immer um eine hochwertige Berichterstattung. Ihnen geht es vielfach  um die Auflagen und Nutzerzahlen. Deshalb jagt ein Drama das nächste.  Oder schauen wir insbesondere auf populistische  Parteien. Sie wollen,  dass wir aus Angst ihren Geschichten glauben, ihnen dafür mehr Wählerstimmen geben, um ihnen dadurch zu mehr Macht und Einfluss zu verhelfen.

Diese Entwicklungen treffen uns gegenwärtig  alle. Es ist eine Zeit der Verunsicherung und  Angst vor dem was da noch kommen mag.  

Und die Angst und Unsicherheit nagt an dem Vertrauen in unsere Demokratie in Deutschland. Während die ZUMA-Analyse der Hans-Böckler-Stiftung für die Jahre bis 1990 noch bis zu 75 % mit der Demokratie zufriedene oder fast zufriedene Bürger ermittelte, fiel der Vertrauensindex danach, mit einigen Ausschlägen, bis auf 51 % im Jahre 2004. Inzwischen ist dieses Vertrauen, nach einer Untersuchung der Körber-Stiftung aus dem Sommer 2023, offensichtlich weiter gesunken. Danach gaben „mehr als die Hälfte der Befragten (54 %) an, weniger großes oder geringes Vertrauen in die deutsche Demokratie zu haben.“

Das alles trifft diejenigen, die schon immer in Deutschland gelebt haben genau so, wie diejenigen, die als Zuwanderer –  und in unserem Falle als Spätaussiedler vor längerer oder kürzerer Zeit nach Deutschland gekommen sind.

Als ich 1990 als junger Abgeordneter in den Bundestag kam waren wir durch die Wiedervereinigung und das Ende des Kalten Krieges beseelt. Und trotzdem waren die Zeiten nicht konfliktfrei.

Ich habe dann in der Zeit von 1998 bis 2004 als Aussiedlerbeauftragter in der Regierung Schröder gearbeitet. Ich habe mithelfen können, dass der Anspruch der Deutschen in Russland auf Anerkennung ihres Kriegsfolgenschicksals und damit auf Aussiedlung nach Deutschland, dauerhaft erhalten wurde. Das war nicht einfach in einer Zeit in der jährlich fast eine Millionen Menschen einen Antrag auf Aussiedlung nach Deutschland stellten. In der Öffentlichkeit wurde Stimmung gegen diese Aussiedler gemacht. Diesen Konflikt mussten wir durchstehen.   

Jeder der in Russland einen deutschen Schäferhund hat, kann nach Deutschland kommen. So hieß es damals.  So auch der damalige SPD-Politiker und spätere Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine. In Russland als die Deutschen verschmäht  und hier als Russen beschimpft – das war keine leichte Zeit.

 

 

 

Es kamen in meiner Zeit als Beauftragter jährlich rund 200.000 Menschen aus den Staaten der ehemaligen SU. Dabei hat sich die Zahl der jeweiligen Anspruchsberechtigten durchaus verschoben. Kamen in den frühen 90ern überwiegend Menschen mit einem direkten Anspruch nach § 4 des BVertrG und weniger mitreisende Familienangehörige. So veränderte sich das dann doch erheblich. Es kamen immer weniger §4rer und immer mehr mitreisende Familienangehörige.

Das bemerkte man auch bei den Sprachkenntnissen. Und die fehlenden Sprachkenntnisse  machte die Integration nicht leichter. Geraden um die Jahrhundertwende hatten wir erhebliche Probleme mit der Integration von jungen Menschen in unsere Gesellschaft. Kriminalität und Drogenkonsum von „Russen“ geisterten ständig durch die Medien und machten Stimmung gegen die Russlanddeutschen. Wir haben damals und danach mit erheblichen Mitteln die Sprache und die Integration gefördert.

Die Lage und auch die öffentliche Meinung zur Zuwanderung von Menschen aus der ehemaligen SU haben sich in den frühen 2000er Jahren doch erheblich gebessert. Auch kamen durch Gesetzesänderungen ab 2004 erheblich weniger Aussiedler nach Deutschland. So waren es  2010 noch rund 2350 Aussiedler insgesamt. Der tiefste Stand wurde 2012 mit 1817 erreicht.

Nicht zu Unrecht kritisierten viele Aussiedler doch erhebliche Probleme bei der Familienzusammenführung. Erst aber 2014/2015 stieg die Zahl langsam wieder an, mit einem Höhepunkte in 2019 mit 7.155 Aussiedlern. In der Corona-Zeit sank zunächst die Zahl wieder auf 4.300 um dann für 2021/22 wieder auf rund 7.000 jährlich anzusteigen. Der gegenwärtige Krieg hat sich bislang nur wenig ausgewirkt.

Zahlen sind eine Thema. Sorgen und Probleme beim Ankommen und Hiersein sind ein anderes.   

Ich habe bei meinen vielen Gesprächen und Seminaren erfahren, dass tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen aus Russland bei einem bedeutsamen Teil der Gedanke von einer „Rückkehr in das Land der Väter“ und der Wunsch als „Deutsche unter Deutschen zu leben“ verankert sind. Damit wäre man am Ziel einer jahrhundertelangen Reise angelangt.

Es geht also  um das Gefühl der Identität „Wer bin ich – und Wo gehöre ich hin“.  Dieses Thema  bewirkt in Gesprächsrunden mit  Deutschen aus Russland angesprochen oft Diskussionen mit hoher Emotionalität und barg ein großes Konfliktpotential.  

Dr. Katharina Neufeld hat in einer Arbeit für Seminare mit Russlanddeutschen vier Gruppen unterschieden, die beim Ankommen, Hiersein und der Identität eine unterschiedliche Sicht auf die Dinge haben.  Die bei der Einreise über 50jährigen, die bei der Einreise 30-50jährigen, die als Kinder und Jugendliche eingereiste und diejenigen, die bereits hier geboren wurden.

Viele der Eingereisten über 50jährigen hatten noch eigene Kriegs- und Verfolgungserfahrung.  Viele von Ihnen lebten die für sie wichtigen deutschen Werte. Ein deutsches Dorf, wie Alexandrowska bei Omsk,  konnte ich in Sibirien immer sofort erkennen. An der Siedlungsart, der Ordnung, den Vorgärten.   Die Menschen dort kannten die Strophen des Loreley-Liedes besser als ich.

Viele der Älteren  hatten sich allerdings  kulturellen Umgebung in der ehemaligen SU angenähert.  Sie waren oft mit einem russischen Partner verheiratet und sprach in vielen Fällen Zuhause vorwiegend russisch.

Das galt insbesondere auch für  die Gruppe der 30 bis 50jährigen, die im Erwachsenenalter in Deutschland eingereist ist. Sie versuchen sich beruflich zu arrangieren, indem sie auch Berufstätigkeiten unterhalb ihrer Qualifikation annahmen. (Lehrer als Taxifahrer, Lehrerinnen als Putzfrauen etc.) 

Der Fleiß dieser Menschen hat mich immer fasziniert. Der Traum vom eigenen Haus gehörte wo immer möglich dazu. Dabei geht ihnen vielfach um die Verlagerung ihrer Hoffnung auf die eigenen Kinder.

Diejenigen, die als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene kamen, kamen oft ohne ihre ausdrückliche Zustimmung.

Nach und nach öffnen sich diese Jugendlichen von damals aber auch deutschen Gruppen  Cliquen und die Identifizierung mit dem „Deutschen“ wächst.  (Vogelsang in seiner Studie     : 2000 – 32 %, 2011 – 48 % fühlen sich als Deutsche)

Bei der vierten Gruppe handelt es sich dann um diejenigen, die in Deutschland geboren wurden. Sie sind teilweise ganz ohne russische Sprachkompetenz. Was ich sehr bedauere. (Meine Frau – aus Polen).

Insgesamt ist in allen Gruppen der russische Einfluss auf die Identität in unterschiedlicher Intensität erkennbar.  Es sind, wie Frau Prof. Boos-Nüning es  ausdrückt, oft hybride Identitäten oder Doppelidentitäten.  Das ist kulturell oft wertvoll. Schließlich können wir alle voneinander lernen. Aber es birgt auch Probleme und Missverständnisse.

Bei einem Gespräch im Moskauer Goethe-Institut in Moskau vertrat Nadeschda Pantshenko,  Vertreterin der russischen Agentur für Angelegenheiten der Nationalitäten, die Meinung zum Einfluss des Russischen auf die Identität der  Russlanddeutschen: „Das kann man nicht mehr trennen. Das ist wie bei einem Milchkaffee, da bekommt man die Milch auch nicht wieder heraus.“

Julia Iwakin, Vorsitzende des JSDR, meint, obwohl sie mit neun Jahren nach Deutschland gekommen ist schätzt sie auch den Kontakt und möchte auf diese Weise Brücken zwischen den Ländern aufbauen. Sie fühlt eine Identität in der zwei Länder vereint sind.

Einen anderen Blick darauf hatte Werner-Dieter Klucke, ehemaliger Leiter des Kulturreferats der Deutschen Botschaft in Moskau. Er erklärte, dass es sich bei erwachsenen Spätaussiedlern die ihren festen Wohnsitz in Deutschland haben, in der Regel nicht mehr um russische sondern um deutsche Staatsangehörige handele. Eine Intervention in interne Angelegenheiten eines anderen Staates sei völkerrechtlich verboten. Klucke betonte, dass die Loyalität der in der Bundesrepublik lebenden Russlanddeutschen Deutschland gehören sollte.

Das ist gerade vor dem Hintergrund der erlebten und gegenwärtigen Krisen und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine gar nicht so eindeutig. Spürbar war das schon in der Zeit der Annexion der Krim durch Russland 2014. Wir waren gerade mit Waldemar und anderen Freundes des JSDR der in Kasachstan. Es gab schon erhebliche Diskussionen zur Schuldfrage Russlands oder des Westens.

 

Diese Verunsicherung, die Einflussnahme Russlands und die teilweise gespaltene Loyalität war öffentlich bei dem Fall Lisa im Januar 2016 erlebbar.

Am Sonntag, dem 17. Januar 2016, berichtete die Tante des in Berlin Marzahn-Hellersdorf lebenden russlanddeutschen Mädchens Lisa unter Tränen im russischen Ersten Kanal, dass ihre Nichte von drei Flüchtlingen entführt und in einer Wohnung vergewaltigt worden sei. Die deutsche Polizei habe die darauffolgende Anzeige abgeschmettert. Höhnisch kommentiert der Reporter zum Schluss, er habe versucht mit der deutschen Polizei zu sprechen, jedoch sei an einem Sonntag dort niemand erreichbar.

 

Es vergingen keine 24 Stunden nach der Ausstrahlung des Berichtes und innerhalb russischsprachiger Netzwerke in Deutschland machten wütende Aufrufe zu Demonstrationen gegen „Merkels Flüchtlingspolitik“ und gegen die „staatliche Vertuschungsstrategie“ die Runde.  Deutschlandweit kam es zu zahlreichen Demonstrationen mit insgesamt 10.000 Demonstranten.

Wie sich später herausstellte, ist tatsächlich Folgendes passiert: Die 13-jährige Lisa erhielt am Tag ihres Verschwindens ein schlechtes Zwischenzeugnis und wollte es vor ihren Eltern verheimlichen. Das Mädchen übernachtete bei einem ihrer volljährigen männlichen Freunde. Um nicht auch noch dafür von der Familie bestraft zu werden, erzählte Lisa ihren Eltern, drei Südländer hätten sie verschleppt, festgehalten und vergewaltigt.

Obwohl die deutschen Behörden sich beim Umgang mit diesem Fall wenig sensibel zeigten ist klar.

 

Es ging nicht nur um Lisa – wie wir heute wissen. Lisa wurde zum Teil einer strategisch aufgebauten Desinformationskampagne die schon 2014 ihren Anlauf nahm. Staatliche russische Agenturen  instrumentalisierten diesen Fall politisch und befeuerten damit die rechtsradikale und rechtspopulistische Szene.  Am 26. Januar 2016 kam der russische Außenminister Sergei Lawrow auf den Fall des Mädchens zu sprechen und warf den deutschen Behörden Vertuschung vor.

Es ging in der Nachfolge zu diesem Fall um die Vereinnahmung der Russlanddeutschen durch die AfD.  Wahlverhalten – in Hauptwohnquartieren der Russlanddeutschen.   Bad Lahr – Cannada – Ring und Gelsenkirchen. Allerdings keine große Abweichung zu Stammquartieren ehemaliger SPD – Wähler. Keine Verharmlosung.

 

Und jetzt, nach dieser Entwicklung, RD würden bei der russischen Invasion in der Ukraine zu Putin halten.  Wie ist die Lage wirklich. Im ost-klick schreibt Erika Balzer:

„…auch in den Wohnzimmern vieler Familien wird jetzt vor allem der Ukraine-Krieg die Gespräche dominieren. Das führt gerade oft in russlanddeutschen Familien zu einer Zerreißprobe. Sei es durch die Urgroßeltern, die während des zweiten Weltkrieges aus der Ukraine oder Russland vertrieben wurden, durch Verwandte oder Freunde, die noch in Russland oder der Ukraine leben oder durch die russische Sprache. So divers die einzelnen Familiengeschichten und Verbindungen auch sind, der Umgang mit dem Krieg scheint auch in vielen Familien Konflikte auszulösen.

So einige Aussagen von Familienmitgliedern: Die Menschen in den Volksrepubliken hätten Putin im Hilfe gebeten. Die Nato hätte den Krieg provoziert.  Es gibt FamMitgli die Putins Ansichten teilen und befürworten, es gibt andere, die eher auf Ignoranz setzen,  und viele, die sich nicht ganz sicher sind.

Kristina schreibt: „Meine Eltern sind nicht putinhörig. Sie sind sich bewusst, dass es auf russischer Seite viele FakeNews und Propaganda gibt. Sie sind der Meinung, dass Medien im Westen das aber auf die gleiche Weise und mit voller Absicht betreiben. Aber wenn man jeden Tag russisches Fernsehen sieht, kommt man eben nicht drum rum, subtile Propaganda zu schlucken, auch wenn man meint, die offensichtliche zu erkennen.“

Allerdings gilt für Bürger in Deutschland die deutsche Rechtsordnung unter Anerkennung des Völkerrechts.  Auch wenn es 1000 Gefühle der Ungerechtigkeit, der ungerechtfertigten Einflussnahme,  der gebrochenen Zusagen gibt. Nichts rechtfertigt einen Einmarsch Russland auf das Territorium einen souveränen Staates Ukraine. Dem fühlt sich Deutschland verpflichtet.

Was tun wenn es hierzu unterschiedliche Meinungen gibt?

Lohnt sich die Diskussion?

Wenn sie sich lohnt, dann an Fakten und unterschiedlichen Medien orientieren?  Andere Quellen der politischen Bildung nutzen. Dann zur Meinungsbildung kommen.

Wenn es noch schwieriger wird,  sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen –  Frieden wollen wir ja wohl alle…

 

Fazit:

 

Konflikte gehören zu unserem Leben. Weil Menschen jeweils eigene Bedürfnisse/Interessen haben. Es kommt darauf an, wie wir mit Konflikten umgehen. Konflikte gehören folglich auch zur Demokratie. Demokratie verlangt Diskussion. Demokratie verlangt andere Meinungen zu ermöglichen und hinzuhören. Demokratie gestattet keinen Meinungsterror der die Demokratie gefährdet. (Deutschland als Kalifat)

Demokratie verlangt aber auch Beteiligung. Wir sind eine Mitmachgesellschaft.  Mitmachen in Vereinen, Verbänden und Parteien.  Wo Mitmachen ausfällt da setzen sich autoritäre Führer an deren Stelle.  Das wollen wir nicht. Das ist auch nicht das deutsche Erfolgsrezept. Wohlstand, Frieden, soziale Sicherheit und das ständige Mühen um soziale Gerichtigkeit erreicht man nur in eine Mitmachgesellschaft – in einer Demokratie.