Putins krankhafter Narzissmus bedroht die demokratische Welt.

Putins krankhafter Narzissmus bedroht                                     die demokratische Welt.

 

In den letzten Wochen des Krieges in der Ukraine wird in der Öffentlichkeit gerätselt, was den russischen Machthaber zu seiner vernichtenden Aggression treibt. Die Kenntnis dieser Motivation war insbesondere für das diplomatische Parkett von Bedeutung. Wo konnten  und sollten Scholz, Macron und andere ansetzen, wenn Sie mit Putin über einen Interessenausgleich sprachen?

Das was Putin spiegelte und offensiv kommunizierte war der Betrug durch den Westen und die NATO nach Auflösung der Sowjetunion. Russland wurde nach seiner Lesart ein Opfer des gebrochenen Versprechens, dass sich die ehemaligen Staaten des Ostblocks nicht der NATO anschließen würden. Passiert sei genau das Gegenteil. Hier müsse sich nun Russland schützen.

Mit dieser Opferrolle ließ sich trefflich sachlich streiten. Im Westen,  mit dem Austausch von Argumenten, die beweisen oder verwerfen wollten, dass es ein derartiges NATO-Versprechen je gegeben hat. Das verbrauchte schon ein hohes Maß an Energie und Aufmerksamkeit. Es bewegte sich allerdings auf einer sachlichen Ebene, die einen Interessenausgleich in Verhandlungen schon möglich machen konnte. Schließlich hatten Deutschland und Frankreich bereits 2008 ihr Veto gegen einen baldigen  NATO-Beitritt der Ukraine eingelegt. Dann, so die Schlussfolgerung, würde man auch mit einem weiteren Verzicht und weiteren Sicherheitsgarnituren den Konflikt beilegen können. Derartige Argumente und Anreize müssen wohl Inhalt der  ersten Diplomatiepakete von Macron und Scholz gewesen sein.  Vor diesem Hintergrund muss man auch den anfänglichen Optimismus der beiden Staatsmänner verstehen. Wie groß war die Enttäuschung, als sich alle optimistischen Optionen, wie der Rückzug der russischen Manövertruppen, als glatte Lüge entpuppten.

Der Grund: Diese diplomatisch behandelte Problem- und Opferlage war nicht die wirkliche Ausgangslage für Putins Feldzug. So lange wie eben möglich hat Putin seine Opferrolle auf der Sachebene thematisiert. Es ging bei ihm um etwas was viel tiefer wirkte. Seine eigentliche Opferrolle, die ihn, das ukrainische und auch das russische Volk in diesen Krieg trieb, lag viel tiefer im emotionalen Bereich. Die damit verbundene Erkenntnis ist gleichzeitig banal und durchschlagend wichtig.  Da gibt es den verletzten Macho Putin. Jemand der sich seit Beginn seiner Amtszeit als unbesiegbar inszeniert  hat. Ob in der Natur, beim Judo  als Träger des  8. Dan,  am Verhandlungstisch oder bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Obamas „Russland ist eine Regionalmacht“ wird Putin bis heute emotional befeuert haben.  Und das vor dem Hintergrund der putinschen Ambition eines Zaren Vladimir an der Spitze eines neuen russischen Reiches. 

Es kann doch nicht sein, dass solche Banalität das Schicksal von Völkern bestimmt. Doch es kann. Der strategisch- vor dem Ende des zweiten Weltkrieges – unnötige Abwurf von zwei Atombomben in Japan war das Ergebnis eines banalen  Konkurrenzverhaltens zweier kommandierender Generäle.  Solche tieferen emotionalen Motivationslagen sind nun nicht Gegenstand auf dem diplomatischen Verhandlungstisch. Wären sie es, so würden sie ja eine vermeintliche Persönlichkeitsschwäche, gar eine krankhafte Entwicklung offenbaren. Ein Vermutung die sich in den letzten Wochen in den Medien ja schon häufig gezeigt hat: Es geht im Kern um eine tiefe Kränkung eines total narzisstischen Machtanspruchs. Ihn als krankhaft zu bezeichnen ist statthaft. Insbesondere dann, wenn durch die vermeintliche Erlösung seines Opfergefühls tausende Menschen sterben. Es ist statthaft, wenn durch Putins Wahn Kriegsverbrechen begangen,  ein Land zerstört und Menschen in der Ukraine und andrs auch in  Russland unsäglichesLeid zugefügt wird.

Als krankhafter Despot enttarnt zu werden, das scheint offensichtlich auch einem Vladimir Putin nicht sonderlich angenehm. So servierte er den erstaunten, gar erschrockenen Betrachtern ein neues Narrativ, welches sich bei der Pressekonferenz Putin/Scholz schon andeutete und in seiner Rede vor Beginn der Invasion  konkretisiert wurde. Es ging um das historische Vermächtnis der russischen Volksseele, der selbstverständlichen Zugehörigkeit der Ukraine zu Russland, um Nazis und Drogensüchtige  in der Regierung der Ukraine und der Machtelite des Landes. Diese hätten die russische Bevölkerung der Ukraine unterdrückt und eine Genozid an ihnen verübt. Eine neue Opfersituation, die sich auch hervorragend als ein Erklärungs- und Motivationsmuster eignete. Es gilt schließlich russische Menschen vor einem grausamen Zugriff von Nazis zu bewahren. 

Derartige Dinge verfangen in den jeweiligen Communities. Sie schaffen eine Solidarität und bieten die Legitimation für extreme Reaktionen. Mit diesem Opfernarrativ, dem Verweis auf Gräueltaten an russischen Menschen, arbeiten Putin und seine Medien schon seit längerer Zeit. Am bekanntesten ist in Deutschland der Fall Lisa. Eine im Nachhinein als falsch erwiesene Misshandlung eines russlanddeutschen Mädchens in Berlin. Sogar Außenminister Lawrow schaltete sich ein und sprach von einem Vergehen an „unserem russischen Mädchen“ Lisa. Ein Vorgang der große Teile der russlanddeutschen Community in Deutschland elektrisierte und eine stärkere Rückbindung der Deutschen aus Russland an das Moskauer Regime möglich machte. Ein Vorgang, der sich durch tendenziöse Berichterstattung russischer Medien, die von Deutschen aus Russland gerne genutzt werden, verstärkt . Ein zu wenig beachteter Vorgang in der deutschen Innenpolitik, der sich gerade auch in der gegenwärtigen Zeit rächt. 

Aber auch dieses kollektiv aufgebaute Opfernarrativ Putins trifft nicht des Pudels Kern. Es ist also nicht die NATO allein? Es ist nicht die gemeinsame russische Geschichte und die vermeintlichen Genozide? Was ist es dann?  Es geht dem krankhaft narzisstischen Despoten um die Gefährdung seiner Macht durch die sich entwickelnden demokratischen Tendenzen. Aufgeschreckt durch Belarus und Demokratiewünsche in seinem Land und um ihn herum,  will er nicht allein das Vorrücken der NATO verhindern. Er will das Vorrücken von demokratischen Werten bis in sein Land hinein verhindern.  Es gilt den Virus der Demokratie zu besiegen. Dafür ist ihm jedes Mittel recht. Demokratie begrenzt Macht. Demokratie kontrolliert Macht. Demokratie wechselt Macht. Demokratie schütz andere Meinungen.  Seine Komfortzone kennt derartige demokratische Tendenzen nicht. Das Scannen der Wirklichkeit erkennt für ihn eine Gefährdung dieser Komfortzone. Er fühlt sich in Wahrheit als potentielles Opfer eines sich ausbreitenden demokratisierenden Westens. Demokratie ist für ihn kein Wert an sich. Demokratie ist für ihn ein Zeichen von Dekadenz. Der Hinweis auf die „Drogensüchtigen“ in der Ukraine ist dabei mehr als bezeichnend. Insoweit war Putin nie ein lupenreiner Demokrat – und er wird wohl auch nie einer werden. Schon in seiner Bundestagsrede von 2001, als es um das Haus Europas ging, ging es auch schon um einen russischen – also putinschen – Führungs- und Machtanspruch. Damals noch sanft formuliert. Im Nachhinein ist dadurch aber klar erkennbar, dass Putins Machtanspruch nicht an der Grenze der Ukraine endet. .

Was also tun? Zunächst ist es gut die Dinge zu erkennen wie sie sind. Man darf sich nicht auf vermeintliche Sachebenen abdrängen lassen, wenn es um ganz andere Bedürfnisse geht. Wenn  das potentielle Opfergefühl Putins durch einen befürchteten Verlust von Macht gespeist wird, dann gilt es eigene Forderungen zu formulieren und klare rote Linien aufzubauen, rote Linien deren Überschreiten zu einem noch größeren Machtverlust führen. Aber Vorsicht. Wenn man einen krankhaften Narzissmus bei Putin unterstellt, dann sind auch krankhafte Reaktionen in ausweglosen Situationen denkbar. Hitler hat in einer solchen Situation offensichtlich Selbstmord begangen. Wer garantiert uns, dass krankhafte Reaktionen in diesen Zeiten der Atomwaffen nicht zu einem sehr erweiterten Suizid führen?