Vom Saalbau zur Villa Franka – wie Erinnerung verblasst

Vom Saalbau zur Villa Franka – wie Erinnerung verblasst

Wer sich von der Recklinghäuser Altstadt in Richtung Stadtteil Ost begibt, dem fallen zwei markante, das Stadtbild prägende Gebäude ins Auge: Zum einen das um 1900 errichtete ehemalige Bahnhofshotel, das vom heutigen Eigentümer Stefan Schlüter mit großer Liebe zum Detail aufwendig restauriert wurde – ein Beispiel dafür, wie historische Architektur verantwortungsvoll erhalten werden kann.

Zum anderen die Villa Franka, ein bedeutendes Bauwerk an der ehemaligen Horneburger Straße (Dortmunder Str.1), errichtet um 1875. In der Zeit um 1900 war sie nicht nur Hotel, sondern auch ein beliebter Treffpunkt mit Saal, Restaurant und Gartenlokal – dokumentiert auf historischen Postkarten und Lithographien. Die Villa war über viele Jahrzehnte ein wichtiger kultureller Bezugspunkt im städtischen Gefüge Recklinghausens.

Doch der Zahn der Zeit, jahrelange Vernachlässigung und eine zwielichtige Nutzungsgeschichte in jüngster Zeit haben das Gebäude in Verruf gebracht. Heute steht die Villa Franka leer – ihr baulicher Zustand ist kritisch, ihre Zukunft ungewiss. Derzeit entsteht der Eindruck, dass der fortschreitende Verfall stillschweigend geduldet wird, um schließlich den Abriss als unausweichlich erscheinen zu lassen.

Diese Dynamik ist nicht neu in Recklinghausen. Schon beim Städtischen Saalbau spielte sich ein ähnliches Drama ab – wenn auch unter anderen Vorzeichen. 1897 aus der Erweiterung des „Kaisergartens“ hervorgegangen, war der Saalbau jahrzehntelang ein kultureller Mittelpunkt der Stadt: Konzerte, Theateraufführungen, Gewerkschaftstage, Karneval und politische Versammlungen fanden hier ihren Platz. Berühmte Künstler wie Claudio Arrau, Alfred Brendel und Anne-Sophie Mutter gastierten in den 1950er Jahren auf der Saalbau-Bühne. Und nicht zuletzt war er die Wiege der Ruhrfestspiele, die 1947 mit der Aktion „Kunst gegen Kohle“ dort ihren Anfang nahmen.

Trotz seiner historischen Bedeutung fiel der Saalbau in eine jahrelange Debatte über Sanierungskosten, Brandschutz und Neubaupläne. Eine zugesagte Spende  in Höhe von zehn Millionen Euro für den Umbau zu einem Kulturzentrum blieb ungenutzt. Der Rat der Stadt beschloss 2012 den Abriss – 2014 war der Saalbau  verblassende Geschichte.

Der Abrissbschluss zum Saalbau war mehr als eine städtebauliche Entscheidung. Er war ein Akt der Entwurzelung. Für viele Generationen war dieser Ort identitätsstiftend. Alexander Mitscherlich hat in seinem Werk Die Unwirtlichkeit unserer Städte treffend formuliert:
„Ein städtebaulicher Irrtum kann über Jahrzehnte hinweg Menschen beschädigen.“

Was aus dem oben erwähnten Bahnhofshotel wurde, zeigt, dass es auch anders geht. Hier hat ein Privatmann mit Gespür für Geschichte ein Stück Stadtbild gerettet. Und was geschieht dort, wo es ein solches Bürgerengagement offensichtlich nicht gibt?

Die Villa Franka wird – aufgrund ihrer jüngeren Vergangenheit – vermutlich keinen öffentlichen Aufschrei bei einer möglichen Abrissgenehmigung auslösen. Doch auch sie ist Teil des kollektiven Gedächtnisses dieser Stadt. Ihre Wurzeln reichen tief in das kulturelle Selbstverständnis Recklinghausens hinein.

Gerade deshalb wäre es wichtig, ein Zeichen zu setzen: für Identität, für Erinnerung, für eine Stadt, die ihre Geschichte nicht nur dokumentiert, sondern auch baulich bewahrt. Nötig wäre ein Zusammenspiel zwischen der Stadt und den Eigentümern der Grundstücke entlang der unteren Dortmunder Straße – mit dem Ziel, das Ensemble rund um die Villa Franka zu erhalten und  in die umliegenden Bauvorhaben zu integrieren.