Neues Migrationsmanagement als „weiße Salbe“.

von Jochen Welt
Die schwarz-rote Koalition will mit mehr Grenzkontrollen und einem verschärften Migrationsmanagement auf steigende Flüchtlingszahlen und die wachsende Zustimmung zur AfD reagieren. Doch wer glaubt, damit ließe sich das gesellschaftliche Klima befrieden, verkennt die Realität. Diese Maßnahmen sind nicht mehr als eine weiße Salbe – oberflächlich beruhigend, aber ohne nachhaltige Wirkung.
Was fehlt, ist der Mut zur ehrlichen Analyse: Die Gründe für die Radikalisierung in Teilen der Bevölkerung liegen nicht allein in aktuellen Migrationszahlen. Sie liegen tiefer – in einem jahrzehntelangen Versäumnis, Zuwanderung, Integration und gesellschaftliche Teilhabe zusammenzudenken.
Wir erleben heute die Spätfolgen einer Politik, die die soziale Realität vieler Menschen ignoriert hat. In Stadtteilen mit ohnehin hoher Belastung haben viele Menschen ihre Heimat verloren. Es wurden Integrationsstrukturen abgebaut, soziale Projekte gekürzt, Bildung vernachlässigt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt – die Grundlage jedes funktionierenden Gemeinwesens – wurde systematisch unterspült.
Und jetzt? Wird Härte demonstriert. Es werden Zahlen genannt, Grenzkontrollen verschärft, Verfahren beschleunigt. All das mag ordnungspolitisch notwendig sein – aber es geht am eigentlichen Problem vorbei.
Denn dort, wo sich Menschen „entheimatet“ fühlen, wo ihnen Sprache, Nachbarschaft, Alltagskultur fremd geworden sind, entstehen Misstrauen und Ängste. Diese Ängste greifen Populisten auf – nicht, weil sie Lösungen bieten, sondern weil sie einfache Schuldige liefern.
Die Erfolge der AfD in klassischen Arbeiter- und SPD-Hochburgen wie Gelsenkirchen oder Kaiserslautern sind kein Zufall. Sie sind ein Symptom. Ein Symptom für den Vertrauensverlust in eine Politik, die sich zu lange auf symbolische Integrationsrhetorik verlassen hat – und gleichzeitig die Alltagssorgen der Menschen ignorierte.
Wir brauchen kein kosmetisches Krisenmanagement. Wir brauchen eine tiefgreifende, strategisch angelegte Integrationspolitik, die diesen Namen verdient. Eine Politik, die Migration nicht nur verwaltet, sondern auch gestaltet. Die sich nicht nur mit Ankunft beschäftigt, sondern mit Beheimatung – und zwar für alle: Alteingesessene wie Neuangekommene.
Bereits 2003 hat der Integrationsforscher Klaus Bade auf die Notwendigkeit einer „nachholenden Integration“ hingewiesen – also auf Maßnahmen für jene, die längst hier leben, aber nie wirklich angekommen sind. Diese Warnung wurde ignoriert. Und auch heute noch überwiegt das Projektdenken: Kurzfristige Programme statt langfristiger Strukturen. Modellversuche statt dauerhafte Angebote.
Der Preis dafür ist hoch. Wo Integration scheitert, bröckelt das Sicherheitsgefühl. Wo keine Zugehörigkeit entsteht, wächst das Gefühl des Kontrollverlusts. Und wo Sprache und kulturelle Anschlussfähigkeit fehlen, verlieren Menschen ihren Halt – nicht nur in ihrer Nachbarschaft, sondern auch in der Demokratie.
Es wäre an der Zeit, endlich umzusteuern. Aber ein Blick in die Haushaltspläne und politischen Prioritäten zeigt: Die weiße Salbe bleibt das Mittel der Wahl.
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