Vestische in der Zeitschleife: Rückwärts in die Zukunft

Vestische in der Zeitschleife: Rückwärts in die Zukunft

 

Die Vestische Straßenbahnen GmbH im Kreis Recklinghausen hält eisern am Autobus fest – ob mit Diesel, Benzin oder nun vorsichtig mit Wasserstoff – und das seit 1982. Neue Technologie, altes Denken. Das Lehner-Gutachten von 1976 war das politische Aus für die Straßenbahn in der Region. Und offenbar ist seitdem auch die Zeit stehen geblieben. Heute weiß ich: Wir haben vor fast 50 Jahren eine Fehlentscheidung getroffen. Wir haben uns von Gutachtern und politischen Altvorderen auf eine verkehrspolitische Leimspur führen lassen.
Viele Städte in Deutschland und Europa, die sich damals – wie Recklinghausen – von der Tram verabschiedet haben, bauen ihre Straßenbahnen heute wieder auf. Auch in unserer Nachbarschaft passiert das: Essen, Gelsenkirchen, Bochum erweitern ihre Netze. Nur die Vestische – genauer: ihre Geschäftsführung – tut so, als wäre es immer noch 1976. Dieselbe Argumentation, dieselben Vorbehalte, dieselbe Blockadehaltung – als hätte sich die Welt seither nicht weitergedreht.
Wer heute noch mit den gleichen Argumenten wie vor fast 50 Jahren gegen die Straßenbahn wettert, muss sich fragen lassen, ob er sich in einer politischen Zeitschleife eingerichtet hat.
Legendär – und bezeichnend – ist der Satz, der dem aktuellen Geschäftsführer zugeschrieben wird: „Solange ich Chef bin, kommt keine Straßenbahn nach Recklinghausen.“
Das klingt nicht nach moderner Verkehrspolitik, sondern nach persönlichem Trotz. Ich erinnere mich gut an meine Zeit im Aufsichtsrat der Vestischen vor über 20 Jahren – und an die reflexartigen Abwehrhaltungen in Betriebsleitung wie auch in Teilen der Politik. Vorschläge für stärkere Kooperationen mit den Nachbarstädten wurden abgebügelt: „Machen wir doch – bei der Busbeschaffung.“ Beteiligung an Wasserstoffmodellprojekten? Zu teuer. Kleinbusse für RE? Zu aufwendig. Diese Mentalität erklärt, warum zukunftsfähige Mobilität im Kreis Recklinghausen bis heute auf der Strecke bleibt.
Auch abseits der politischen Grundsatzfrage offenbart sich die Fehleinschätzung der Verantwortlichen. Der Vorschlag, die Linie U35 von Bochum über Herne nach Recklinghausen Bahnhof Süd zu verlängern, ist realistisch: überirdisch, weil ein Tunnel wirtschaftlich nicht tragbar ist. Eine zusätzliche Infrastruktur in Recklinghausen wäre durch die Nähe zur BOGESTRA kaum erforderlich.
Das oft bemühte Schreckgespenst der angeblich explodierenden Kosten bei der Tram hält einem Faktencheck nicht stand. Die behaupteten Erstellungs­kosten von 20 Millionen Euro pro Kilometer sind deutlich überzogen. Zum Vergleich: Der aufwändige Ausbau in Bochum-Langendreer – mit vielen Weichen und Haltestellen – lag bei 11,6 Millionen Euro pro Kilometer.
Auch bei den Betriebskosten wird verzerrt: Busanschaffungskosten von rund 330.000 Euro werden dramatisch mit Straßenbahnkosten von angeblich 3 Millionen Euro verglichen. Dabei bleibt außen vor, dass eine Straßenbahn viermal so viele Fahrgäste pro Fahrer transportieren kann – ein entscheidender Faktor angesichts des eklatanten Fahrermangels bei der Vestischen.
Zudem ist die Lebensdauer einer Straßenbahn etwa dreimal so hoch wie die eines Busses. Und während ein Bus alle sechs Monate zum TÜV muss, genügt bei der Tram ein Intervall von acht Jahren oder 500.000 Kilometern.
Die Liste der Vorteile ließe sich fortsetzen. Aber entscheidend ist:
Recklinghausen kann sich weiter vor dem Fortschritt verschließen, gute Vorbilder ignorieren und Fördermittel ungenutzt verstreichen lassen.
Oder es entscheidet sich, gemeinsam mit den Befürwortern in Politik und Zivilgesellschaft für einen zukunftsorientierten Nahverkehr einzutreten.
Recklinghausen hat die Wahl.