Städtepartnerschaft und der Hauch gesamtdeutscher Geschichte
– Persönliche Impressionen zur Städtepartnerschaft von Schmalkalden und Recklinghausen –
Den Ruhrfestspielen hat Recklinghausen viel zu verdanken. Ohne diese Festspiele wäre die Stadt, am Nordrand des Ruhrgebiets, im Getümmel der Städte über 100.000 Einwohner für viele Außenbetrachter verwechselbar. In der Nachkriegszeit kam es durch den Tausch von Kohle und Kunst – durch die Solidarität der Bergleute mit den Kunstschaffenden aus Hamburg – zu einer Partnerschaft und dann zu den einmaligen Ruhrfestspielen Recklinghausen.
Fast vierzig Jahre später waren es die Ruhrfestspiele, die zu einer neuen Partnerschaft zwischen einer Stadt in der damaligen DDR und Recklinghausen führten. Durch einen Austausch zwischen den Kulturschaffenden, dem FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund der DDR) und den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, wurde das Fenster der Begegnung wieder ein Stück weiter geöffnet. Diese Begegnung war der Grundstein der heutigen Städtepartnerschaft zwischen Schmalkalden und Recklinghausen.
Eine hochrangige FDGB-Delegation reiste zu den Ruhrfestspielen an. Es gab neben dem gemeinsamen Kulturgenuss, z.B. der Aufführungen der Komischen Oper – Berlin, im Festspielhaus auch den üblichen Empfang. Im Jahre 1988, meinem zweiten Jahr als Bürgermeister der Stadt Recklinghausen, fanden der Empfang, das Abendessen und der hochinteressante Gedankenaustausch im Depot an der Castroper Straße in Recklinghausen statt.
Neben mir saß am Abend des 3. Mai 1988 die stellvertretende FDGB-Vorsitzende Johanna Töpfer. Wir tauschten die Geschichte und die Unterschiedlichkeiten zwischen den Ruhrfestspielen in der BRD und den Arbeiterfestspielen in der DDR aus. Meine Gedanken an eine Städtepartnerschaft bewegten mich schon zu Beginn des Abends. „Wandel durch Annäherung“, das war das Leitmotiv für mich, verbunden mit dem Wunsch, konkrete Hilfen für die Menschen in der DDR zu leisten. Das, was im Großen auf dem Weg war, das musste doch auch im Kleinen gelingen. Diesen Leitgedanken behielt ich zwar für mich, den Wunsch nach einer solchen Partnerschaft konnte ich aber im Laufe des Abends noch gut platzieren. Nach langen, intensiven und auch kontroversen Gesprächen bekam ich von Johanna Töpfer im Mai 1988 die Zusage für eine Städtepartnerschaft mit einer Stadt in der damaligen DDR. Wir vereinbarten damals Stillschweigen über Details und formulierten öffentlich nur die Prüfung einer solchen Partnerschaft.
Die Mühlen des DDR-Regimes arbeiteten langsam. Und so musste ich über die Sommerzeit mehrfach nach dem Stand der Dinge fragen. Schließlich im August 1988 stellte mir die stellv. Vorsitzende des FDGB eine Partnerschaft mit Schmalkalden in Aussicht. Nach einer positiven Rückmeldung durch die Recklinghäuser Stadtspitze wolle man die Partnerschaft in der DDR dann auf den Weg bringen. Interfraktionell gab es in Recklinghausen hierzu schnell Zustimmung und dann auch die gewünschte Meldung nach Ost-Berlin.
Irgendwie haben interfraktionelle Besprechungen ja ihre Eigendynamik und so stand der Name unserer zukünftigen Partnerstadt schon bald in der Zeitung. Nicht ohne Probleme, denn aus Recklinghausen machten sich Heinz und Hermie Staubermann nach Schmalkalden auf den Weg um auf dem Marktplatz ein Recklinghäuser Ständchen zu bringen. In Schmalkalden war man arg irritiert. Offensichtlich hatte man etwas in Berlin beschlossen ohne Schmalkalden vorher informiert zu haben.
Irritierte Anrufe auch aus Ost-Berlin im Recklinghäuser Rathaus. Verstimmung. Aber nein, man bleibe bei der Zusage. Die offizielle Bekanntgabe sollte dann erst im September 1988 in Ost-Berlin stattfinden. Das passte gut. Für den Spätsommer hatten wir mit dem damaligen Unternehmerstammtisch des Bürgermeisters eine Berlinfahrt geplant. Und so kam es zu einer Einladung in das Ost-Berliner Ermeler-Haus. Dort fand durch Johanna Töpfer die offizielle Verkündigung im Beisein der Recklinghäuser Unternehmer statt.
Die Zeiten bis zur Unterschrift unter den Partnerschaftsvertrag hatten ihre eigene Tragik, aber auch Komik. So erinnere ich mich noch wie heute an den ersten Schnupper-Besuch einer offiziellen Delegation aus Schmalkalden, mit dem zweiten Bürgermeister, offensichtlich dem Stasi-Mann an der Spitze, und dem verzweifelten Versuch, mit dem Dienstfahrzeug – einem Wartburg – nach Recklinghausen zu gelangen. Der Wagen tat seinen Dienst – nahm aber offensichtlich mehrfach die falsche Abfahrt. Als dieses besondere Dienstfahrtzeug dann schließlich auf dem Rathausvorplatz stand, wurde es nicht nur von den Mitarbeitern der Verwaltung bestaunt.
Alle Delegationsmitglieder zeichneten sich zunächst dadurch aus, dass sie staunten, fragten und zuhörten. Die weiblichen Mitglieder der Delegation verbrauchten mehrere Bleistifte und Blöcke, weil sie alles – aber auch wirklich alles – aufschrieben. Offensichtlich sollten in der Heimat alle Details noch einmal richtig ausgewertet werden. Noch heute kann man im Archiv des Bundesamtes für Stasi-Unterlagen in Berlin in den Akten „Begleitung der Städtepartnerschaft Schmalkalden – Recklinghausen“ nachlesen.
Offensichtlich auch durch den gemeinsamen Abend in der Gaststätte Bönte positiv gestimmt, sahen die Schmalkalder Gäste der beabsichtigten Partnerschaft mit Interesse und Wohlwollen entgegen. Dieses wurde dann, in fast freundschaftlicher Atmosphäre, durch die Gegeneinladung nach Schmalkalden unterstrichen.
Es begannen städtepartnerschaftlich betriebsame Wochen und Monate. Der Gegenbesuch in Schmalkalden mit der Recklinghäuser Delegation,ernsthafte Diskussionsrunden, Besichtigungen, bierselige Abende. Aber auch die Wortbeiträge eines Recklinghäuser Delegationsmitglieds über den Wert des Sozialismus im Allgemeinen und die anerkennenswerten Bemühungen der DDR im Besonderen. Das machte nicht nur die übrigen Recklinghäuser sondern auch einige Schmalkalder verlegen.
Dann die intensive Arbeit an gemeinsamen Erklärungen zur Städtepartnerschaft. Die Ausarbeitung des Textes der Partnerschaftsvereinbarung. Manchmal mit einer Ernsthaftigkeit, die mehr an die Erarbeitung einer Erklärung der Vereinten Nationen zur Rettung des Weltfriedens erinnerte.
Später dann die ersten Bitten um Hilfe durch Schmalkalder Bürger. Das Bild der Ärztin, die uns auf dem Weg in den Sitzungssaal abfing und auf den enormen medizinischen Notstand in Schmalkalden aufmerksam machte, setzte sich für immer fest. Es fuhren die ersten Lastkraftwagen mit Hilfslieferungen aus Recklinghausen, engagiert und akribisch vorbereitet, durch unseren damaligen Stadtdirektor Peter Borggraefe.
Neben den offiziellen Gesprächen, den vielen Absichtserklärungen und unvergessenen Eindrücken menschlicher Begegnung mit Angst, Not und Hoffnung, waren es also die Begegnungen am Rande des formalen Partnerschaftsweges, die sich tief eingeprägt haben. So ist mir der gemeinsame Abend in einer Hütte im Schmalkalder Wandergebiet in bester Erinnerung. Das Essen war Spitze, das Radeberger Pils war warm – schmeckte aber trotzdem, die Stimmung war gut. Sie wurde noch besser, als wir uns zu einer ebenfalls in der Hütte tagenden Wandergruppe gesellten und uns mit ihnen am alten deutschen Liedgut erprobten. Es war ein fantastischer gesamtdeutscher Liederabend. Einige Offizielle waren allerdings ob der gesamtdeutschen Gesangeslust weniger erfreut und machten die immer munterer werdenden Sänger auf die anstehende Schließzeit des Hauses aufmerksam.
Insgesamt ist es ein Glücksfall, in einer solch intensiven, gesamtdeutschen Zeit mit einer Städtepartnerschaft auf dem Weg zu sein. Man erlebt die große Politik wie unter einem Brennglas. Man erkennt, man versteht, man engagiert sich mit im gesamtdeutschen Entwicklungsprozess. Und der entscheidendere Vorteil dieses kommunalen Blicks – gegenüber dem bundespolitischen Blick – ist das Erkennen, Erleben und Fühlen von persönlichen Schicksalen und Betroffenheiten. Über zwei Ereignisse, die mir unter die Haut gegangen sind und die mich noch heute oft erschrecken lassen und mich betroffen machen, will ich nachfolgend berichten.
Wenn einem Bürgermeister der Schweiß von der Stirn tropft
Die Papiere für die Vertragsunterzeichnung waren vorbereitet und abgestimmt. Eigentlich war alles klar für die Vertragsunterzeichnung. Aber dann, in den Septembertagen des Jahres 1989, überschlugen sich die Ereignisse. Die Presse war jeden Tag voll von Meldungen über Fluchtbewegungen aus der DDR über Ungarn und die Tschechoslowakei. Es gab massive verbale Angriffe der DDR-Führung gegen die Regierungen des Westens und deren Medien.
Mit Bangen sahen wir im Recklinghäuser Rathaus dem 16.9.89 – dem Tag der Unterzeichnung in Recklinghausen – entgegen. Bei dem eskalierenden kalten publizistischen Krieg rechneten wir jeden Tag mit einer Absage aus Schmalkalden.
Die Absage blieb aus. Die Delegation, unter Leitung des Bürgermeisters Klaus Schubert, reiste pünktlich am 15.9. 89 an. Ein wenig verunsicherter, ein wenig reservierter als sonst. Erst am Abend bei Bönte taute das Eis wieder. Unsere Gäste beeilten sich ständig zu betonen, dass wir doch mit der „großen Politik“ wenig am Hut und entsprechend wenig Einfluss auf die Großwetterlage hätten. Die Stimmung war gedrückter als sonst, das stimmt. Aber keiner konnte ahnen, was uns am anderen Morgen im Recklinghäuser Rathaus erwarten würde.
Der ohnehin ehrwürdige Ratssaal war festlich geschmückt. Das Rednerpult und der Bereich für die Musikgruppe waren an der Stirnseite des Saales platziert. In der Mitte der Tisch für die zu unterschreibenden Partnerschaftsurkunden. Die Zahl der Stuhlreihen ließ auf eine große Besucherzahl schließen. Und so kam es auch. Zeitig eilten die Vertreter des Recklinghäuser Stadtrates, des Kreistages, der Verwaltungen, der Vereine, Betriebe und Verbände zum Rathaus.
Als ich am Rathaus eintraf kam mir Klaus Schubert mit seiner Delegation vom Wall her entgegen. Der sonst stattliche Bürgermeister von Schmalkalden, mit dem stets freundlichen fast jungenhaften Lächeln, wirkte völlig in sich versunken. Auch die übrigen Delegationsmitglieder machten alles andere als fröhliche Gesichter. Es reichte wohl nicht zu mehr als zu einem einfachen „Guten Morgen“ und „Noch gut geschlafen?“ Das letzte im Blick auf den etwas längeren Bönte-Abend, der ja auch so manch angeschlagene Verfassung erklären konnte.
Aber der gesellige Vorabend war offensichtlich nicht der Grund für die betretenen Mienen. Das merkte ich, als wir im Foyer des Rathauses auf einen seltsam anmutenden Herrn mit Glatze und Aktenmappe trafen. Der erinnerte mich an den rattenhaften Kerl aus den Gestapo-Verhören in „Schindlers-Liste“. Sein überfreundliches, aber schmallippiges „Guten Morgen“ und „ Herr Schubert, wir müssen gerade mal was besprechen?“ verhießen nichts Gutes.
Klaus Schubert, stellte mir zunächst den Herrn vor. Sandmann, so hieß er wohl. Dann verschwanden beide in Richtung Poststelle. Ich ging mit den Teilnehmern der Schmalkalden-Delegation die Treppen hinauf. „Der ist von unserer Ständigen Vertretung in Bonn,“ raunte mir ein Ratskollege aus Thüringen zu. „Ständige Vertretung“ das war der Ersatz für eine nach Grundlagenvertrag und Viermächtestatus ausgeschlossenen Botschaftslösung beider Länder.
Mein Blick traf die beiden, die jetzt wieder am Eingang standen. Und ich sah, wie dieser Herr Sandmann dem Schmalkalder Bürgermeister ein Manuskript aushändigte. Die beiden folgten uns in die erste Etage und zum Ratssaal. Ich sah Klaus Schubert in dem Manuskript blättern. Sein an diesem Morgen ohnehin fahler Gesichtsausdruck war abwechselnd blass und knallrot. Er stolperte und stotterte an Fremden und Bekannten vorbei in den großen Saal des Rates der Stadt Recklinghausen.
Vorbei auch an Landrat Helmut Marmulla, der sich offensichtlich in den hinteren Reihen platzieren wollte und der ihm ein „Schon richtig vorbereitet?“ zurief. Schubert bekam das wohl alles nicht mehr recht mit. Er blieb einige Meter vor der ersten Reihe, in dem ein Platz für ihn neben mir reserviert war, stehen und sortierte seine Mappe. Einige Blätter nahm er und steckte sie hinter die, die er gerade vom DDR-Diplomaten erhalten hatte.
Sandmann, der Mann aus der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn, hatte hinter uns in der zweiten Reihe Platz genommen. Vor ihm seine Aktenmappe. Darauf wohl die Kopie des an Schubert ausgehändigten Manuskripts. Auch ich war von dieser aktionistischen Geheimniskrämerei gedanklich gefangen. Nur wie in einem Schatten nahm ich die vielen alten und neuen Freunde einer Städtepartnerschaft zwischen Schmalkalden und Recklinghausen wahr.
Die Gäste hatten inzwischen Platz genommen. Klaus Schubert saß auf seinem Platz neben mir. Er sagte kein Wort und fingerte noch immer an seinen Papieren herum. Auch ich ging noch einmal meinen Fahrplan und meine Redebeiträge durch. Es wurde ruhig im Saal. Die Mitglieder der Orchestergruppe schauten zu mir herüber und begannen mit ihrem ersten Musikbeitrag. Zeit für mich, noch einmal die Ehrengästeliste durchzugehen. Dann meine Begrüßung, der besondere Gruß an die Gäste aus Schmalkalden, an einige Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft. Schließlich mein Hinweis auf die Bedeutung dieses Tages für die beiden Städte, für Deutschland und für den Frieden in Europa.
Während Musikbeitrag und meiner Begrüßung hatte Klaus Schubert wohl dem ihm ausgehändigten Text vollständig gelesen. Ich sah, wie sich sein Gesicht mehr und mehr rot verfärbte und Schweißperlen auf seine Stirn traten. Ich ahnte Schlimmes und fügte meinem Redetext unsere besondere Verantwortung für die Menschen unserer Städte an. Unseren Bürgerinnen und Bürgern seien wir an erster Stelle verpflichtet. Danach die Bitte um den Festvortrag an Klaus Schubert.
Schubert klammerte sich an seine Mappe. Griff dann schnell das massive Rednerpult. Er suchte dort Halt. Er schluckte einige Male bevor er mit seinem Text begann. Was dann folgte, war eine Aneinanderreihung von bürokratischen Protokollbemerkungen, Lobhudeleien der vermeintlichen Leistungen der DDR, Agitation wie im „Schwarzen Kanal“ von Karl – Eduard von Schnitzler im DDR-Fernsehen, dann Originale der Pressestelle des Politbüros der SED. Schubert las den vorliegenden Text holpernd, hüstelnd und stockend ab. Im Saal wurde es immer unruhiger. Gemurmel und einzelne Worte aus dem Saal, die ich nicht verstand. Sie brachten Schubert noch mehr aus der Fassung. Er stand quasi bis in seine Schuhe im Schweiß. Immer wieder nahm er sein großes, weißes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich durch das ganze Gesicht.
Aber er las weiter: Die Regierung der BRD und die imperialistischen Massenblätter dort seien für das Abwerben von braven DDR-Bürgern verantwortlich. So erklärte er die Flucht in die deutschen Botschaften von Prag, und Budapest und zu Tausenden über die österreich /ungarische Grenze. Es gäbe keine Probleme im sozialistischen Musterland. Mauer und Schießbefehl waren wohl auch noch zu dieser Zeit notwendige Schutzmaßnahmen vor Einflüssen aus dem Westen. Es liefe alles gut in der Wirtschaft, die Menschen seien zufrieden. Nur einige wenige Familien hätten aus Schmalkalden überhaupt einen Ausreiseantrag gestellt.
Das war einigen zu viel. „Aufhören, aufhören“ hörte man aus unterschiedlichen Ecken des Saales. „Weg mit der Städtepartnerschaft,“ kam es aus dem hinteren Teil des Saales. Dieser Zwischenruf wird gerne Helmut Marmulla, dem damaligen Landtagsabgeordneten der SPD und Landrat zugeschrieben. Für mich ist das bis heute nicht ganz klar. Richtig ist, das Marmulla noch vor dem Ende der Rede den Saal verließ.
Nein, jetzt nicht aufgeben. Das war mein innerer Leitsatz. Da hatten wir Wochen und Monate um Formulierungen gerungen, Verbindungen und Hilfsbrücken zu den Menschen in Schmalkalden geschaffen. Nein, wir machen keine Partnerschaft mit dem Politbüro oder der Ständigen Vertretung der DDR. Wir wollen eine Partnerschaft mit den Menschen in Schmalkalden. Mein Gedanke: Das System DDR ist getroffen, deshalb die Reaktionen. Sie merken, dass Begegnung und Partnerschaft in der DDR Unruhe schafft. Deshalb hätte die Nomenklatura es gerne, wenn wir von uns aus die Partnerschaft aufgeben würden. Nein, das durfte nicht sein.
Klaus Schubert kam schweißüberströmt zum Ende seines Textes mit dem Hinweis, dass man gleichwohl die Städtepartnerschaft wolle. Er setzte sich, bemühte wieder sein inzwischen durchnässtes Taschentuch. Auch ich konnte den ersten Teil meiner vorbereiteten Rede nicht mehr gebrauchen. Der Unterschied: Mir schrieb niemand aus Bonn den neuen Beitrag vor. Ich konnte das formulieren und sagen, was ich dachte und fühlte.
Und ich fühlte im Saal und in mir die Bestürzung über den Vortrag. Ich brachte diese Bestürzung zum Ausdruck und nahm den lautstark geforderten Abbruch auf. Mein „Nein – im Gegenteil – jetzt erst recht“ habe ich diesen Gedanken entgegengesetzt. Der Grund: Es geht um die Partnerschaft der Menschen in beiden Städten, um die Begegnung, um die Solidarität und nicht um einen Vertrag zwischen Funktionären zweier Systeme! Die Stimmung beruhigte sich ein wenig und so konnte ich doch noch zu einigen vorher notierten Perspektiven unserer Partnerschaft kommen. Begegnungen, Austausch, Hilfe, Friedensbeitrag. Alles Inhalte, die inzwischen mehrere Jahrzehnte diese Partnerschaft getragen haben.
Ich weiß nicht mehr, ob es noch ein Musikstück gab. Sicherlich. Mir rann der Schweiß nicht von der Stirn – wie Schubert. Aber ich spüre noch wie heute meine weichen Knie. Mit denen bat ich den Bürgermeister aus Schmalkalden dann auch zur Unterschrift. Ein Vorgang ohne Zwischenfälle – nur begleitet von freundlich-abwartendem Beifall und dem Blitzlicht der Fotografen.
Ein harter Tag für uns alle, die wir an diesem Ereignis teilgenommen und auch damals Verantwortung getragen haben. Ein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger unserer beiden Städte. Ein guter Tag für die deutsche Einheit.
Und Klaus Schubert. Fast unter Tränen bat er mich beim anschließenden Mittagessen um Entschuldigung. Er habe doch nicht anders können. Was sollte man dazu besser-wessi-mäßig sagen – ohne je in den Mokassins eines Ostbürgermeisters gestanden zu haben?
Die Zeit und die Menschen der friedlichen Revolution sollten uns den richtigen Weg zeigen. Und wir, die Partnerschaftler aus Recklinghausen, waren dabei. In dieser wirklich wirren, ja manchmal irren Zeit.