Alles andere ist Fake – Bei Putin zählt nur sein Macho-Narrativ
Wer in der Diplomatie mit Putin einen Erfolg erzielen will, der muss die Narrative kennen, die diesen Mann emotional steuern. Welche Narrative kennen wir von ihm? Vorgetragen wird das Sicherheitsbedürfnis, die Befürchtungen um die NATO-Osterweiterung. Und wer in den Archiven kramt, der findet auch Gründe warum sich Putin, und so verstanden ganz Russland, als Opfer fühlen kann. Es geht um die nicht verfassten Zusagen von Politakteuren des Westens, nach 1990, dass es keine Osterweiterung der NATO geben wird.
Das alles kann so richtig sein. Es taugt aber vor allen Dingen hervorragend für die politische Rhetorik. Dadurch vermittelt Putin die Legitimation für die wachsenden Eskalationen, die Anerkennung der Gebiete Donezk und Lugansk und die Vermittlung der nächsten Perspektive: „Die Donbass-Region in der Ostukraine gehört zu Russland.“ (Putin) Ein gefühltes Opfer, wie Putin, darf sich doch wehren oder?
Aber gerade die Weiterungen in Putins Rede vom 21.02.22, mit dem Hinweis darauf, dass die Ukraine in besonderer Weise zur Russland gehört. Diese Weiterungen sind ja nicht neu. Sie waren auch 2014 schon Gegenstand putinscher Rhetorik. Es ist nur Schade, dass die Akteure des Westens diesen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit von Putin und einem damit verbundenen erweiterten Herrschaftsanspruch nicht entlarven. Die entscheidende Triebkraft Putins ist seine Macho-Persönlichkeit, die, nach seinem Selbstverständnis, erreichen kann was sie will. Wer die Rede von Putin am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag miterlebt hat, der konnte die Emotionalität Putins erkennen, als es um ein russisches Leadership für ganz Europa ging. Das war der Traum einer Persönlichkeit, die vom Barac Obama auf das Maß des Vorstehers eine REGIONALMACHT RUSSLAND zurechtgestutzt wurde. Diese Verletzung ist das eigentliche Opfergefühl das Putin antreibt. Sein Lebenszeitfenster ist überschaubar. Ein Leadership für Europa rückt in weite Ferne. Sein Ego treibt ihn zumindest bis zur Wiederherstellung des Russischen Reiches, zu einer Rückkehr zu den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion. Vor allem gilt es für ihn, den Virus der Demokratisierung westlichen Musters in seiner Nachbarschaft zu verhindern. Westliche Demokratie und autoritäre Führungspersönlichenkeiten nach putinschem Macho-Muster passen für ihn nicht zusammen.
Es ist doch einsehbar, dass diese an Krankhaftes heranreichende Motivationslage, die allein dem eigenen Ego geschuldet ist, sowohl innen- wie außenpolitisch nicht zu vermitteln ist. Die Offenlegung dieser Gefühlsebene seiner Persönlichkeit wäre nicht nur ein politisches no go. Die Öffnung dieses Teils seiner Persönlichkeit würde ja Putins Schwächen offenlegen. Er wäre erkennbar kein starker Mann für das Wohl des russischen Volkes. So geriert er sich wie ein Süchtiger nach der nächsten Machtladung – die Sachfragen treten weit dahinter zurück. Deshalb wird das Opfer-Narrativ der NATO-Ausweitungals willkommene Legitimation für Eskalation ebenso genutzt wie die Bedrohung durch ein nicht legitimiertes Maidan-Regime der Ukraine. Und wenn diese Verschiebung von Opfereigenschaften nicht entlarvt wird, dann bietet das genug Energie für weitere Schritte der Eskalation im Sinn der oben beschriebenen Gfühlsebene Putins.
Wem diese beschriebenen putinschen Mechanismen bekannt vorkommen, der irrt sich nicht. Die Geschichte ist voll von psychopatischen Steuerungen unkontrollierbarer und unbremsbarer Macht in autoritären Staatsformen. Nur eine funktionierende Demokratie, mit Meinungsvielfalt und Machtbalance, hat hier ein Regulationspotential. Beispiele der Geschichte gibt es genug. Die für uns bedeutsamsten Lehren sollten die Grausamkeiten der Nazi-Zeit, unter einem krankhaften Hirn Adolf Hitlers, sein. Auch bei ihm führten Sachfragen zu den unterschiedlichsten diplomatischen Bemühungen der damaligen Alliierten, bis hin zum Münchener Abkommen 1938. Trotz Anschluss Österreichs, der Eingliederung des Saarlandes, Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands u.a. gab es keine Entlarvung der kranhaften Motivationslage Hitlers. Später war eine Entlarvung auch gar nicht mehr nötig, weil das „Volk ohne Raum“ , die besonderen Herrenmenschen, zu einem überwiegenden Teil in massenpsychologisch wirkenden pathologischen Strukturen verfangen waren. Das Ergebnis: Millionen Tote, Chaos, Verwüstung, Zerstörung.
Was lernen wir aus der Gegenwart und den schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit? Zunächst gilt es die wirklich steuernde Motivationslage zu entschlüsseln. Das ist bei dem inflationären Vortrag diplomatiefähiger Sachprobleme gar nicht einfach. Gleichwohl ist es für die Entwicklung notwendiger Strategien unerlässlich auch die verdeckten Motive der putinschen Gefühlseben zu berücksichtigen. Nur dann erkennt man frühzeitig die notwendigen „Roten Linien“ die ein Aggressor nicht überschreiten darf. Ansonsten gewinnt dieser durch ein Diplomatie PingPong nur die für seine wahren Absichten notwendige Zeit und Energie.
Was heißt das nun für die gegenwärtige Auseinandersetzung? Wir sollten im Diplomatie-Format nicht aus eigenem Anlass über die Nato-Osterweiterung verhandeln wollen. Das ist Putins vorgeschobenes Opfer-Narrativ. Wir sollten, wegen der erkennbaren Erhöhung der Bedrohungslage, über die Eindämmung des russischen Expansionsstrebens verhandeln – von Georgien, Belarus bis zur Ukraine/Krim. Dieses Narrativ muss nach Innen und Außen kommuniziert werden. Man sollte sich darüber im Klaren sein: Wir befinden uns schon in einem Krieg. Durch Russland mit militärischen Mitteln spätestens seit 2014. Unsere Mittel einer Kriegsführung sollten nichtmilitäriscvher Natur sein. Nichteinigungen vor diesem Hintergrund geführten Verhandlungen, müssen also sanktionsbewährt sein. Die hier gemeinten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Sanktionen verlangen vom Westen eine ehrliche Inventur wirksamer Maßnahmen und eine gut überlegte Ausweitung militärischer Prävention. Wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland dürfen nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil sie bei uns zu Belastungen führen. Derartige Medizin ist dann zwar bitter. Aber: Frieden hat dann eine Dividende, wenn man vorher in den Frieden investiert.