Ein fader Beigeschmack beim Apothekenstreik: Arzneimittelknappheit und Eigeninteressen
Der Gang in die Apotheke gleicht manchmal einem Lotterie-Spiel. Viele Apothker- und Apothekerinnen vertrösten, zucken mit den Schultern oder verweisen auf Ersatzpräparate. Am häufigsten fehlen Antidepressiva, Schilddrüsenmedikamente, Schmerzmittel und Blutdrucksenker – alles notwendige Medikamente, bei denen eine kontinuierliche Therapie lebenswichtig sein kann. Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukten (BfArM) liegen aktuell ca. 250 Meldungen über momentan nicht-lieferbare oder nur eingeschränkt verfügbare Medikamente vor. Apotheker und andere Gesundheitsfachleute sprechen von bis zu 3000 fehlenden Medikamenten.
Politik und Fachpresse resümieren dann auch: Viele Apotheken in Deutschland haben schon seit Monaten mit einem großen Mangel an Medikamenten zu kämpfen. Betroffen, so die häufig gehörte Feststellung, sind stationäre Apotheken, Online-Apotheken und sogar Krankenhäuser.
Genau da scheint mir der schiefe Blick auf die Faktenlage zu beginnen. Betroffen sind in erster Linie die Patienten, die zu Bekämpfung ihrer Krankheiten, zur Linderung ihrer Schmerzen oder zur Behandlung ihrer chronischen Krankheiten Opfer einer fehlenden Daseinsvorsorge des Staates geworden sind. Eines Staates der früher hätte handeln können und müssen. Aber nicht nur der Staat steht hier in der Verantwortung. Die Verbände der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und der Apotheker müssen bei derartigen Problemen den ethischen Verpflichtungen ihres Berufsstandes nachkommen. Fast zehn Jahre Zeit wurde vertan, ohne dass eine konzertierte Aktion aus Politik, Heilberufen, Krankkenkassen und Pharmaindustrie ein Notfall -und Zukunftskonzept zur Arzneimittelsicherheit erarbeitet hat. Das inzwischen vorliegende Gesetz von Karl Lauterbauch ist der späte und teure Reparaturversuch eines bislang auf den Knochen von Kranken verschlafenen Problems.
Doch damit nicht genug. In dieser desaströsen Lage melden sich die Apotheker mit einer Streikaktion zu Wort. Sie lassen ihre Apotheken am Mittwoch dem 16.06.23 geschlossen. „Wir streiken für die Sicherheit unserer Kunden“, konnte man auf den Plakaten lesen. Endlich, könnte man meinen. Es entsteht durch Plakate, Zeitungsberichte und Interviews der Eindruck eines altruistischen Kampfes der Apotheker für die Medikamentensicherheit ihrer Patienten und Kunden. Voll daneben. Beim genauen Hinsehen geht es den vor dem Bundesgesundheitsministerium und in vielen Städten demonstrierenden Apothekern und deren Angestellte um die Anpassung ihrer Apothekenvergütung. Die Apotheken erhalten pro abgegebene Packung eine prozentuale Vergütung von drei Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis sowie einen Fixzuschlag von 8,51 Euro pro. Zugegeben, schon seit Jahren ohne eine vertretbare Erhöhung.
Jeder Wunsch nach einer Einkommenssteigerung ist verständlich. Auch die Hinweise auf die prekäre Lage der umsatzschwachen Apotheken im ländlichen Raum sowie die Sorge vor weiteren Apothekenschließungen sind sicher berechtigt. Hierzu Aktionen durchzuführen ist nachvollziehbar und legitim.
Unanständig ist allerdings die Opfer-Okkupation bei den an Medikamentenknappheit leidenden Bürgerinnen und Bürger und deren Instrumentalisierung für die eigenen Interessen der Apothekerinnen und Apotheker. Da bleibt mehr als ein fader Beigeschmack für ein Berufsbild, das wie fast kein anderes, vom Vertrauen der Kundschaft lebt. Die Meinung zu unserem Gesundheitswesen wird immer deutlicher: Es geht nur ums Geld. Und wenn es um die Euros der Gesundheitsberufe geht, dann wird sogar das erkennbare Elend der Kundschaft bei der Arzneimittelknappheit zur Durchsetzung der eigenen Interessen genutzt. Schade nur, dass dieser Missbrauch nicht transparenter wird. Aber vielleicht ist das ja schon alles ganz normal.