Asyl, Flüchtlinge, Migration und der Alltag in der SPD

Asyl, Flüchtlinge, Migration und der Alltag in der SPD

Eigentlich ein typischer Tag innerhalb der Sozialdemokratie: Nancy Faeser, die sozialdemokratische Bundsinnenministerin, verkündet stolz ein historisches Ergebnis in der Europäischen Migrationsfrage. Dann der Anruf einer Genossin (59) aus einem Wohngebiet mit ehemaligen 65% SPD-Mehrheiten : „Ich bin seit 40 Jahren in der Partei. Aber was hier in der Straße abgeht. Auch im Kindergarten. Nur Ausländer. Dann die Kriminalität. Das geht gar nicht mehr.“ Und schließlich eine muntere Diskussion in einer sozialdemokratischen WhatsApp-Gruppe zum gleichen Thema. Geführt von Menschen, die die WhatsApp-Diskussion beherrschen. Tendenz: „Wir müssen die hier lebenden (Anmerkung: sich sorgenden) Menschen mit einer soliden Kommunikationsstrategie mitnehmen. Das geschieht aktuell nicht. Dieses Gesetz (Anmerk. Asylkompromiss der EU) ist ein Widerspruch zu den Werten der Partei.“

Da haben wir es wieder einmal – nur Streit in der SPD. Hier:  Eine Bürgerin, eine Sozialdemokratin, die mit Ihren Befürchtungen im nördlichen Ruhrgebiet kein Einzelfall ist, sorgt sich trotz der „historischen Einigung“ zum Asyl auf Europäischer Ebene weiter um ihre Zukunft und die Zukunft der Kinder und Enkelkinder. Da: Eine Partei die sich, in einer schwierigen Koalition und hysterisch werdender gesellschaftlicher Gemengelage, um eine pragmatische Lösung der Asylfrage bei stetig steigenden Flüchtlingszahlen bemüht. Eine Partei, die in Teilen, bei einer stattlichen Zahl gesinnungsethisch denkender Mitglieder, das Schicksal von Flüchtlingen als obersten Wert sieht und dabei die Sorgen und Ängste ihres Stammklientel durch eine „solide Kommunikationsstrategie“ beruhigen will.

Der Erwartungshorizont der anrufenden Genossin ist eigentlich klar und solide. Sie ist seit 40 Jahren in der SPD. Ihre Partei hat nach ihrer Meinung mit dafür gesorgt, dass sie hier im ehemaligen Bergarbeiterviertel der Ruhrgebietsstadt, in einigermaßen auskömmlichen Verhältnissen leben kann. In  einer guten Wohnung, bei ihrer Rente und der ihres Mannes, dazu in einem noch sicheren Umfeld indem sie sich eigentlich wohlfühlt. Sie ist stolz auf die damalige Friedenspolitik von Willy Brandt und noch immer dankbar, dass die sozialdemokratische Bildungspolitik ihren Kindern ein Studium und danach eine sichere berufliche Karriere gebracht hat.  Und das alles sieht sie jetzt in Gefahr: Die Wohnungen – in denen mehr und mehr Flüchtlinge aus der Ukraine, aus Syrien und Afghanistan wohnen. Der Kindergarten – in dem mehr in ausländischer Sprache gesprochen wird als in Deutsch. Die Schule, an der ihre Tochter Lehrerin ist, mit einem Ausländeranteil von 65 %, in der Bildung kaum noch stattfinden kann. Dann die für sie oft befremdlichen Erlebnisse im Supermarkt, an der Kasse.  Das Umfeld – aus dem von immer mehr Wohnungseinbrüchen, Bankautomatensprengungen, Clan-Auseinandersetzung u.a.  berichtet wird. Es ist, als wenn ihr, nicht zuletzt durch die Meldung der steigenden Flüchtlingszahlen, ein Stück Heimat genommen würde und sie mit ihrer Familie in eine nicht sichere Zukunft ginge.  Bei allen ihren aufgezählten Sorgen kann ich jetzt, wie so häufig versuchen die Probleme mit einer sich multikulturell entwickelnden westlichen Welt, einere zunehmenden Globalisierung, dem zunehmenden Leid in anderen Teilen der Welt zu erklären oder ihr gar Fakten zu Kriminalität u.a.  präsentieren.  Nur, das wird sie nicht überzeugen.  Es ist wie immer. Sie hört zu. Es folgt eine zustimmendes Kopfnicken und ein erwartetes „Ja“. Nur dann folgt wieder dieses „Aber“, das mir zeigt, dass sich nichts durch meine Kommunikation verändert hat. .Ihr Angst- und Unsicherheitsgefühl wird bleiben.

Der Erwartungshorizont eines großen Teils der erwähnten sozialdemokratischen WhatsApp-Gruppe ist ein ganz anderer. Es geht um die Bilder der Flüchtlingsboote, um die unsägliche Armut, die reale Gefahr durch Krieg und Verfolgung. Es geht um die vielen Menschen, die auf der Fluchtroute gestorben sind. Es geht um die Ungerechtigkeit auf dieser Erde.  Diesem Narrativ stehen die Werte der SPD – die Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – gegenüber. Diese im Sinne der Gesinnungsethik nach Max Weber einzulösen gilt hier als das oberste Ziel sozialdemokratischer Politik.

Wie sind diese unterschiedlichen Erwartungen, ausgehend von den geschilderten Narrativen, aufzulösen? Eine Partei, die nach Regierungsverantwortung strebt oder sie ausübt, wird nie Politik mit reiner Gesinnungsethik ausführen können. Sie wird im Sinne der Weber’schen Verantwortungsethik die Folgen politischer Entscheidungen berücksichtigen müssen, ohne dabei die Werte aus den Augen zu verlieren.  Diese Unterschiede und Zusammenhänge zu begreifen ist wichtig, wenn man sich notwendigen Maßnahmen zum Thema Migration und Asyl nähert.

Einmal hypothetisch betrachtet:  Eine Regierung käme den Forderungen der Gesinnungsethiker durch offene Grenzen und eine liberale Flüchtlingsaufnahmepolitik in vollem Umfang nach. Die Zustimmung des gesinnungsethisch fühlenden Teils der Bevölkerung wäre ihr sicher. Allerdings gibt es in unserem Land auch Menschen mit Narrativen, die durch Ängste und Sorgen vor Überfremdung definiert sind. Dieses scheint innerhalb wie außerhalb der SPD ein ständig wachsender Teil der Bevölkerung zu sein. Eine Politik, welche die Sorgen und Ängste dieses Teils der Bevölkerung nicht im Blick hat, riskiert die Gefahr, dass sie, im günstigsten Falle, von einer restriktiveren Regierung abgelöst wird. Im ungünstigsten Fall riskiert sie eine politische Instabilität des demokratischen Systems und/oder die Machtübernahme populistisch-autoritärer Herrschaftsformen. Die wachsende Zustimmungsrate zur AFD, insbesondere in Ostdeutschland, deutet auf den zu erwartenden Trend.

Die Folgen wären im letzten Fall katastrophal. Sowohl für die Flüchtlinge als auch für die einheimische Bevölkerung. Die Flüchtlinge wären einem brutalen Stopp und legitimierter Unmenschlichkeit ausgesetzt. Die einheimische Bevölkerung einem autoritären System mit Auswirkung in alle nationalen und internationalen Politikbereiche. Schon eine Ablösung durch z.B. CDU/CSU/Freie Wähler hätte restriktive Auswirkungen, insbesondere für die notleidenden Flüchtlinge.

Wer sich also der einheimischen Bevölkerung, insbesondere demjenigen Teil, der mit Globalisierung und offenen Grenzen nicht nur Vorteile assoziiert, verpflichtet fühlt und dabei das Elend aus Krieg, Vertreibung, Hunger, Umweltkatastrophen nicht aus dem Auge verlieren und helfen möchte, der tut gut daran Politiker und Parteien zu unterstützen, die ein machbares und ethisch basiertes Migrations- und Integrationsregime anstreben. 

Was heißt das nun konkret? Ein machbares und ethisch basiertes Migrations- und Integrationsregime muss mit Blick auf die einheimische Bevölkerung aus nachvollziehbarer Begrenzung illegaler Zuwanderung, Schließung von gefühlten Gerechtigkeitslücken, konsequenterem Umgang mit der Inneren Sicherheit und einer stark verbesserte Integrationspolitik bestehen.

Mit Blick auf Flüchtlinge und Zuwanderungsgruppen heißt das, dass in Deutschland (und Europa) nur Menschen mit einem legalen Aufenthaltstitel eine Aufnahme- und Integrationschance haben können. Legale Antragswege in den deutschen Arbeitsmarkt sind ebenso auszuweiten wie Ausbildungs- und Bleibehilfen in den Herkunfts- und Transitländern. Flüchtlinge, die illegale Wege suchen und nutzen, müssen bei allen Schwierigkeiten in der Praxis, zurückgeführt werden. Zu den Rückführungszielen gehören auch sichere Drittstaaten. Flüchtlinge, die bei der Klärung ihrer Legalität nicht mitwirken, machen sich strafbar. Flüchtlinge, die Gesetze unseres Landes nicht achten, verlieren ihren Schutzstatus auch bei kumulierten Bagatelldelikten. Für Bleibeberechtigte sind die Integrationsmaßnahmen massiv auszubauen. Hierzu zählen insbesondere längere sprachliche Qualifizierung, kultur- und sozialkundliche Unterrichtung, berufliche Erst- und Zusatzqualifizierung.

Das zum Diskussionsstand an einem fast normalen Tag der Sozialdemokratie. Diese Partei macht es sich nicht leicht. Es ist ihr Schicksal und ihr Privileg, dass in ihr spiegelbildlich die gesellschaftlichen Kräfte wirken – nur klarer, deutlicher, wie unter einem Brennglas sichtbar. Mit divergierenden Kräften einen gemeinsamen Weg zu finden, das war in ihrer Geschichte schon immer eine Aufgabe der Sozialdemokratie. Dieses Handeln hat Deutschland und seiner Entwicklung zu einer der besten Demokratien der Welt stets gutgetan. Das wird auch in der Migrationsfrage so sein.