Keiner wird als Ausländerfeind geboren – Politische Ignoranz ist allerdings ein Geburtshelfer
Es ist vier Uhr morgens. Die Anwohner der Lippstraße in Haltern werden durch eine laute Detonation geweckt. Ein Ereignis, dass an die gleiche Situation vor 2 Jahren erinnert. Der Geldautomat in der Bank gegenüber ist gesprengt worden. Das Ehepaar von gegenüber reagiert fast routiniert. Die Ehefrau ruft die Polizei an. Er versteckt sich hinter seinem Blumenkübel auf dem Balkon und filmt die Szene. Er beobachtet das Ausräumen des Automaten, er hört ausländische Sprachfetzen, erkennt die Nummer des Autos wegen des Qualms nur schemenhaft.
Man muss doch da was machen können, sagt die verängstigte Stimme des Bekannten aus Haltern nun auf meiner Mailbox. „Das geht doch nicht so weiter. Das sind ausländische Kriminelle, vom Balkan oder Osteuropa, wie vor zwei Jahren. Wir, und er spricht auch für die Nachbarn, haben einfach Angst. Vielleicht können Sie helfen. Es weitersagen. An Frau Faeser – oder kann die auch nichts machen.?“
Aus dem ganzen Anruf spricht nur Angst. Was soll ich tun? Ihm den Mechanismus unseres Zuwanderungs- und Flüchtlingsregimes erklären? Bringt es was, wenn ich ihm die Kriminalstatistik herunterbete und dadurch erkläre will, dass Ausländer bei den Gewaltdelikten etc. weniger kriminell sind als Einheimische? Oder, dass der größte Teil der Zugewanderten hervorragende Mitbürger sind. Vielleicht hilft ja der Appell der Juso-Bundesvorsitzenden Jessica Rosenthal (MDB), dass das Zuwanderungsmanagement aus humanitären Gründen nicht verschärft werden darf. Oder vielleicht hilft der Verweis auf eine Gruppe von Abgeordneten von Grünen und SPD. Für sie ist jede Verschärfung der Zuwanderungskontrolle inhuman. Vielleicht beruhigt ja der Verweis auf Herbert Grönemeyer, der den Flüchtlingszuzug nur positiv sieht, da er „das Land vitalisiert“.
Ich bin sicher, all das wird den Mitbürger aus der Nachbarstadt nicht beruhigen oder gar überzeugen. Er, der sich in verschiedenen Initiativen engagiert, sozial sehr empathisch ist und als religiöser Mensch bislang wohl nie daran gedacht hat die AfD zu wählen. „Was sollen wir denn machen? Keiner hört uns zu. Alle wiegeln ab und verdächtigen uns als Rassisten.“ So der verängstigte Mitbürger. Vielleicht wäre es ja schon ein wenig hilfreich, wenn politisch Verantwortliche – ganz unabhängig von notwendigen politischen Veränderungen – einfach mal den Kontakt vor Ort in der Lippstraße suchen würden. Sich aussprechen, zuhören, hilfreich sein. Das fehlte bislang in diesen und ähnlichen Konfliktfällen. Hier werden Menschen, die seelische Opfer von Gewaltkriminalität geworden sind, alleine gelassen.
Und sonst? Jenseits des geschilderten Einzelfalls geht es so wirklich nicht weiter. Es geht nicht weiter mit der Laschheit und Inkonsequenz in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Es geht auch nicht weiter mit der Unverbindlichkeit der gegenwärtigen Integrationspolitik für diejenigen, die einen Aufenthaltsstatus haben.
Asylsuchende die ihren Asylgrund an den Außengrenzen nicht glaubhaft machen können, gehören zurückgeführt. Asylsuchende die bei der Klärung des Verfolgungsschicksals nicht mitwirken wollen, die ihre Identität verschleiern oder sie mutwillig behindern, gehören in eine humanitär vertretbare Abschiebehaft. Anerkannte Flüchtlinge die kriminell werden gehören umgehend verurteilt und, auch unterhalb der Schwelle von drei Jahren Haft, abgeschoben.
Asyl- und Bürgerkriegsverfahren, die mit einer Anerkennung oder Duldung enden, müssen direkt ein umfassendes Integrations-, Qualifikations- und Beschäftigungsregime nach sich ziehen. Dieses muss allerdings auch faktisch, finanziell und organisatorisch verfügbar sein. Sozialleistungen sind an die Mitwirkung im Rahmen dieses Integrationsregimes zu koppeln. Im Weigerungsfall werden, bis zur Rückführung, nur Sachleistungen zur Verfügung gestellt.
Der Druck im gesellschaftspolitischen Kessel ist durch das eskalierende Flüchtlings- und Asylthema stark gewachsen. Profiteure sind rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien. Ohne viel zu investieren sammeln diese alle die Wähler, die sich als Opfer der gegenwärtigen Asyl- und Flüchtlingspolitik fühlen. Warum? Weil die Parteien, die sich ursprünglich für die Ängste ihres Stammklientel zuständig fühlten, inzwischen eher die Bedürfnislagen von Herbert Grönemeyer und Co bedienen. Die fühlen sich nämlich durch eine Verschärfung des Asylmanagements als Opfer staatlicher Willkür. So unterschiedlich sind die Opfergefühle. Da bin ich doch eher bei denen aus der Lippstraße in Haltern.