Flüchtlinge (k)ein Wahlkampfthema?
„Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?“(Zitat von John F. Kennedy)
Da holt Martin Schulz gerade mal wieder ein Thema in die Wahlkampfarena – und schon ist das Geschrei groß: „Das Flüchtlingsthema muss aus dem Wahlkampf herausgehalten werden“. „Dieses Thema aufzumachen schadet nur den Flüchtlingen und hilft der AFD.“ Ähnlich war es beim Thema Steuern. Ähnlich bei der Inneren Sicherheit. Genauso war es beim Thema Altersarmut und Renten. Alles was der Union unbequem kommt, weil es ihre Unions-interne Zerrissenheit offenbart, soll nicht diskutiert werden. Und die willfährigen Helfer in einigen Medien stimmen in dieses Lied ein.
Nein der Mann legt den Finger in die offenen Wunden unserer Gesellschaft. Das Thema Flüchtlinge hat große Wunden geschlagen. Die sind längst nicht verheilt. Diese Wunden werden, wenn sie nicht sorgfältig behandelt werden, gesellschaftlich chronifizieren. Es kann Wundbrand und Ausweitung in andere Bereiche geben. Deshalb gehört keine Thema dringlicher in den Wahlkampf, weil es um ein dringliches Zukunftsthema geht, weil es alle Wählerinnen und Wähler betreffen wird. Schließlich geht es um die Frage, ob und wie die Parteien und ihre Spitzen mit welchen Konzepten handeln.
Die große Fluchtbewegung in 2015/16 hat doch offenbart, dass nichts bei unserem Zuwanderungsmanagement in Deutschland und Europa gestimmt hat. Diese Zeit hat ein desaströses Missmanagement bei der Bundes-Aufnahmebehörde – dem BAMF – und damit beim zuständigen Bundesinnenministerium offenbart. Noch heute gibt es große Zahlen von nicht registrierten, doppelt registrierten oder falsch registrierten Flüchtlingen. Wo ist das Konzept für den Fall, dass sich diese Entwicklung – mit oder ohne Einfluss der Türkei – wiederholt? Natürlich ist das ein europäisches Problem. Natürlich brauchen wir auch europäische Konzepte. Aber Europa darf keine Entschuldigung für Aussitzen und Abwarten sein. Es geht um umsetzbare Konzepte zum Zuwanderungsmanagement – wenn nicht europäisch dann bilateral mit einzelnen Partnern.
Und schon wieder wird über die Hilfe in den Herkunftsländern zur Bekämpfung der Fluchtursachen schwadroniert. Alle Akteure wollen ein bislang viel zu kleines Pflästerchen auf eine viel zu große Wunde kleben. Hier mal ein Stück Entwicklungshilfe mehr, dort mal Entwicklungspartnerschaft mit der Privatwirtschaft und das war es. Da gerieren sich Entwicklungspolitiker als Warner vor der großen Zuwanderung aus Afrika. Warnen allein hilft nicht. Wo bleibt das Gesamtkonzept, das systematisch in den kommenden Jahrzehnten umgesetzt wird. Und zwar als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, mit breitem bürgerschaftlichem Engagement und ausreichender finanzieller Ausstattung. Und vor allen Dingen: Wer ist dazu in der Lage eine solche gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu initiieren und zu motivieren?
Da diskutieren die Unionsparteien hinter verschlossenen Türen über die Flüchtlingsobergrenze. Nur weil es Wahlkampf ist darf über Zahlen nicht gesprochen werden. Da wird geklagt, dass der größte Teil der Flüchtlinge nur Wirtschaftsflüchtlinge sein sollen. Das mag sein. Aber es gibt auch keinen anderen Weg um in das nach Fachkräften suchende Deutschland hineinzukommen. Da hilft nur ein umsetzungsfähiges Konzept für ein Einwanderungsgesetz, das ein an unseren Bedürfnissen orientiertes Tor nach Deutschland steuernd öffnet. Ein Tor auch für diejenigen, die mit oft großem menschlichem und fachlichem Potential der Beendigung ihres Aufenthaltes in Deutschland entgegenzittern. Hierzu im Wahlkampf zu diskutieren kann doch nicht verkehrt sein. Der Wähler soll zwischen erkennbaren und gar nicht vorhandenen Alternativen entscheiden können.
Und schließlich das Thema Integration. Man wagt es kaum mehr auszusprechen. Es wurde inflationär benutzt und ist inzwischen zur Schimäre verkommen. 2016 konnte man mit einem Bayernplan zur Integration Furore machen. 2017 ist der Rauch verflogen. Keiner will sie mehr sehen, die in der Schlange stehenden jungen Menschen, die händeringend nach einem Sprachkursplatz, Ausbildungs- oder Studienplatz suchen. Allein bei den Bildungsberatern der Jugendmigrationsdienste gibt es monatelange Wartelisten. Wer sich die Tagesabläufe der jungen Flüchtlinge ansieht, der weiß, an was es mangelt: Es fehlt ein systematisches Integrationsmanagement, das die Zeit der jungen Menschen nutzt und ihre Potentiale entwickelt. Herumhängen macht kaputt, kriminalisiert und gefährdet die Gesellschaft. Auch hierzu lohnt sich eine inhaltliche Auseinandersetzung um die richtigen Konzepte.
Flüchtlinge und Integration kein Wahlkampfthema? Ganz bestimmt und ganz bestimmt jetzt. Martin Schulz handelt verantwortungsbewusst, wenn er dieses Thema auf den Tisch des Wahlbürgers legt. Der Wahlbürger muss doch wissen wie dieses Mamut-Thema, mit welchem Konzept angegangen wird. Und vor allem, wer es machen soll. Wem er die Bewältigung dieses Themas zutraut. Ausblenden, Nichtstun und Aussitzen wird sich morgen rächen.