Mehr als ein Mantra? – „Wir schaffen das“ – Eine Zwischenbilanz
Angesichts der jüngsten Terroranschläge ist das politische Personal um den Nachweis der eigenen Handlungsfähigkeit bemüht. Natürlich gehört die Verschärfung von Gesetzen, ebenso wie die schnellere Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern, zum Programm. Die Bundeskanzlerin, als rhetorische Mutter des „Wir schaffen das“, legt ein 9-Punkte-Programm für mehr Sicherheit vor. Dabei vergisst sie nicht, sich selbst und der Öffentlichkeit zu versichern, dass ihr „Wir schaffen das“ nach wie vor gilt.
Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz: Jeder Flüchtling hat ein Dach über dem Kopf – das haben die Kommunen mit Hilfe des Bundes und der Länder geschafft. Die Bearbeitungszeiten für die Anerkennungsverfahren haben sich verkürzt. Das hat das Bundesamt für die Anerkennung der Flüchtlinge (BAMF) mit Hilfe der Bundesregierung und vielen fleißigen, neuen und reaktivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschafft. Dann ist die Zahl der Flüchtlinge ganz erheblich zurückgegangen. Kein Vergleich mehr zum Jahresende 2015. Das haben insbesondere die beteiligten Staaten entlang der Balkanroute – einschließlich Österreich geschafft. Mit Maßnahmen, Zäunen und Stacheldraht, die wir offiziell verurteilt haben. Deren Ergebnis wir allerdings heuchlerisch dankend für uns verbuchen. Ebenso ist die Fluchtroute von der Türkei nach Griechenland quasi geschlossen. Auf Initiative der deutschen Bundeskanzlerin in Vereinbarung mit Recep Tayyip Erdoğan. Das wurde geschafft um den Preis einer politischen Leisetreterei gegenüber dem Abbau von demokratischen Rechten in der Türkei und ständigen Erpressungsversuchen von Erdogan. Schließlich haben mehrere Milliarden an Bundesfinanzmitteln es geschafft, dass Integration in Gemeinden, Städten und Stadtteilen und zivilgesellschaftliches Engagement möglich und temporär erfolgreich sein konnte. Allerdings um den Preis, dass mit dem Abflauen der Flüchtlingszahlen der Handlungsdruck zur Integration in der Politik nachlässt. Jetzt gilt der aktuelle politische Blick den Terroranschlägen – ob mit oder ohne Flüchtlinge. Repression ist angesagt. Integration und Förderung des Miteinanders rücken wieder ins zweite Glied.
Das zeigt auf die Schattenseite von „Wir schaffen das“ und darauf, was wir nicht geschafft haben. Es ist spürbar, dass sich zunehmend mehr Menschen angstvoll und unsicher fühlen. Trotz boomender Wirtschaft, kraftvollem Konsum und niedrigen Arbeitslosenzahlen. Wir haben es nicht geschafft, dass zu uns kommende, vielfach junge Flüchtlinge mit Perspektive qualifiziert und beschäftigt werden. Stattdessen lungern viele von Ihnen auf Plätzen, an Bahnhöfen und in Übergangsheimen herum. Strategien für Integration und Partizipation werden bei diesen Gelegenheiten sicher nicht entwickelt. Wir haben es immer noch nicht geschafft Sprachkurse ausreichend, zeitnah und zielgruppenorientiert anzubieten. Wir haben es auch nicht geschafft aus den bekannten, vielfachen Traumatisierungen und den daraus ableitbaren psychischen Störungen der Flüchtlinge die richtigen und ausreichenden Schlussfolgerungen und Maßnahmen abzuleiten. Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann entsteht wieder neuer politischer Handlungsdruck. Und wir haben es erst recht nicht geschafft aus den Fehlern der Vergangenheit beim Thema Integration zu lernen. So wird schließlich, am Ende der öffentlichen Aufmerksamkeit zu diesem Thema, wieder eine große Zahl von Integrationsverlierern übrig bleiben. Etwas was wir aus den zurückliegenden Jahrzehnten im Umgang mit Chancen und Potentialen von Flüchtlingen kennen. Das verstärkt Unzufriedenheit, verhindert Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft, führt zur Isolation und verstärkt Vorurteile der Aufnahmegesellschaft gegenüber vermeintlichen „Sozialschmarotzern“ bei den Zugewanderten.
Will ein „Wir schaffen das“ mehr als ein Mantra oder auch ein Pfeifen im dunklen Wald sein, dann bedarf es einer ehrlichen Bestandsaufnahme und einer Bereitschaft zu politischen Schlussfolgerungen und nachhaltigem Handeln. Ohne diesen Drei-Schritt hinterlässt die Politik Ratlosigkeit, Zweifel an System und Personal und bei ständig nicht eingelöstem „Wir schaffen das“ Resignation und Wut.